Samstag, 28. Mai 2016

Wie sind Irritationen durch Intervention in Schnittstellen möglich?

Ein Kommentar zum Textausschnitt von Baecker 2005: 254-278 mit Hilfe der Leitfrage von Mölders (2016):

1) Wer oder was irritiert wen oder was  (Mölders 2016)?
Baecker diskutiert die Intervention in Verhältnisse zwischen Kommunikation und Bewusstsein (273), d.h. Kommunikation irritiert Bewusstsein und vice versa (261, 268). Im Rahmen einer Interaktion sind dies zwei Perspektiven: Zum einen ist es die Interpretation einer Kommunikation, beispielsweise ein Thema (258); zum anderen ist es das Handeln und Erleben des Individuums durch sein Bewusstsein (261).

2) Wie wird irritiert und wozu (Mölders 2016)?
Irritation erfolgt durch Intervention in die Schnittstellen zwischen Kommunikation und Bewusstsein (276). Intervention ist definiert als "Konflikt" im Hinblick auf die "Schnittstelle" (276). D.h. es wird ein Konflikt reflektiert, um die Schnittstellen zu variieren (276). Hinzu kommt, dass die Schnittstelle ein bestimmtes Design besitzt. Dieses ist definiert als eine "Form" im Hinblick auf ihre "Funktion" (265). Dadurch wird der Konflikt im Hinblick auf die Form dieses Design verarbeitet. Die Schnittstelle kann bei dieser Intervention in ihrer Funktion so variiert oder neu gestaltet werden, dass der Konflikt als Form weniger auffällt. Baecker nennt ein Beispiel, in dem Verstöße gegen die Verkehrsordnung gefilmt und bei der Polizei zur Kenntnis gebracht werden (277). Hier werden somit Konflikte markiert (gefilmt) und in der Schnittstelle (Design Recht/Polizei) als eine Funktion (Verstoß gegen gesetztes Recht) verarbeitet.

3) Zwei Hypothesen warum die Intervention überhaupt verarbeitet werden sollte:
Baecker erklärt vielleicht indirekt, warum überhaupt eine Störung überhaupt verarbeitet wird. Voraussetzung ist die Annahme (in Anlehnung an Luhmann), dass eine vollständige Bestimmtheit des Sozialen das Unbestimmte eine unverzichtbare Rolle spielt (254). Konkreter sind dies beim Bewusstsein wie bei der Kommunikation deren Endloshorizonte, aus denen immer wieder neue Sinnverweisungen gewonnen werden können, und die es ermöglichen, Bestimmtheiten auf Unbestimmtheiten zurückzurechnen  (267). (Erstaunlicherweise benutzt Baecker hier nicht den Begriff der Kontingenz.) Diese Unbestimmtheit konkretisiert sich offenbar in der oben genannten Schnittstelle (so meine erste Hypothese), bei der die Aufmerksamkeit dadurch sichergestellt werden kann, dass sie zwischen Irritation und Faszination oszilliert (269). (Hierbei benutzt er den Begriff der Irritation eher umgangssprachlich und nicht als theoretischen Begriff wie bei Luhmann oder in unserem Seminar.) Es geht also darum, dass das Design die Schnittstelle zwischen Kommunikation und Bewusstsein so besetzt ist, dass selektiv ausgelotet wird welche kommunikativen Absichten mit welchem Typ von Wahrnehmung verbunden oder strukturell gekoppelt werden können. Dass es überhaupt zur Aufmerksamkeit kommt (so meine zweite Hypothese) ist in Anlehnung an Luhmann, dass die Störung zunächst eine Komplexitätszunahme verursacht (für die Polizei ist der angezeigte Verstoß zunächst als Kommunikation unbestimmt, erst in der Wahrnehmung des Individuums wird es als relevantes Thema erlebt), welche in Form von Komplexitätsreduktion verarbeitet wird (als Vorgang im Rechtssystem: D.h. der Verstoß wird als Protokoll verschriftlicht und als Prozess in die Verwaltung gegeben).


(Von Lutz Ebeling, 28.05.2016)

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Literatur:

  • Baecker, Dirk (2005): Form und Formen der Kommunikation. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Mölders, Marc (2016): Irritationsgestaltung. Seminare im WiSe 2014_15 und SoSe 2016, ekVV-Belegnummern: 300168 bzw. 300148. Universität Bielefeld. Online verfügbar unter https://ekvv.uni-bielefeld.de/kvv_publ/publ/vd?id=37979814, zuletzt geprüft am 08.04.2016.

Samstag, 14. Mai 2016

Wie sind Irritation durch Spiele möglich? (zu Hutter 2015: 9-33, 235-251)


Zusammenfassung der Textausschnitte:
Hutter nutzt die Metapher des Spiels um das Handeln von Akteuren in den verschiedenen gesellschaftlichen, je autonomen Wertsphären, Feldern oder Funktionssystemen zu beschreiben - konkret Kunst oder Wirtschaft (14). Das Handeln oder die Spiele erfolgen nach Spielregeln und Spielzügen, die ähnlich den Wertsphären abgeschlossene und begrenzte Ordnungen darstellen (18 f.).

Zur Leitfrage des Seminars Mölders (2016) - zunächst (a) zum 'Wer' irritiert. Es scheinen die "Spielzüge" und die entsprechend handelnden Akteure zu sein: "[I]n ihrer Verschiedenheit geraten kommerzielle Spielzüge und kulturelle Spielzüge ständig aneinander und ineinander" (32); (b) zum  'Wie': Neben dem genannten Aneinandergeraten sind es "Übertragungen[en]" oder "Translation[en]" hervorgerufen durch "Erfindung" und (Kapital-)"Akkumulation" (235); (c) zum 'Wozu': Diese Übertragungen (von Produktionen der kommerziellen Welten) führen zu "Variationen der Wertschöpfung" (236), womit weitere Erfindungen gemeint sein könnten - und zwar in der Wertsphäre, in die übertragen wurde, wie beispielsweise neue Bilderfindungen (237). Stabil werden die Veränderungen, wenn Vereinbarkeit erreicht ist (31).

Sechs Überlegungen zum Begriff des Spiels:
Was erklärt die Metapher des Spiels - oder welche zusätzliche theoretische Erklärungsleistung bringt die Beobachtung mittels Spielzügen (beispielsweise gegenüber den Theorien von Bourdieu und Luhmann)?
  1. Eine "intuitive Plausibilität" (17) ist nicht unbedingt ein theoretisches Argument. Möglicherweise könnte man statt "Wirtschaftsspiel" nur von "Wirtschaften" reden, wie es Hutter selbst schreibt (28). Statt "[i]m Musikspiel" wäre 'in der Musik' genauso aussagekräftig. Oder "Irritationsgeschichten"  (32) könnten empirische Beispiele von Irritation sein.
  2. Dass Spiele Regeln erfordern, implizieren beispielsweise die Codes der Funktionssysteme bei Luhmann; eine Verbindung von Regeln zu sozialen Systemen kann man bei Kapitanova (2013) nachlesen. Im Spiel vergnügliches und ernstes Verhalten zu sehen, lässt sich durch den Begriff sicherlich leichter beobachten (18 ff.) - aber wäre das aus einer 'Interaktion' nicht genauso ableitbar? Im Gegenteil - Spiele lassen leicht auf Akteure schließen, die motivational im Kontext von Regeln handeln; aber was ist mit der Perspektive von Kommunikationen? Werden diese Sicht auf und mit Kommunikationen nicht durch den Begriff des Spiels leichtfertig ausgeschlossen? Warum nicht Sinn als Kontext statt Regeln? 
  3. Und könnte statt "ernst" oder "ästhetisch" bei Hutter nicht Luhmanns Unterscheidung "Verwunderung / Bewunderung" (32) vollständiger die Phänomene erfassen? (Warum heißt die zugehörige Sitzung wohl "Irritation, Ver- udn Bewunderung" ;-).
  4. Und dass Finanzmärkte nicht nur "Glücksspiel[e]" des "Kasino-Kapitalismus" sind (28), können seriöse Unternehmer, die ihr Kapital durch Aktienverkauf für Investitionen in ihr Unternehmer nutzen, vermutlich bestätigen. 
  5. Spieltheorie aus der Wirtschaft (20) ist ein ungenauer, historisch bedingter Begriff, denn Gefangene im Gefangenendilemma als "Spieler" zu bezeichnen, erscheint möglicherweise ein wenig anachronistisch. Axelrod spricht in einem ähnlichen Zusammenhang stattdessen neutraler davon, dass "eine Person bei einer fortlaufenden Interaktion mit einer anderen Person kooperier[t]"  (Axelrod 2005: S. VII). 
  6. (a) Möglicherweise erklärt Luhmanns Unterscheidung von Handeln und Erleben mit den symbolisch generalisierten Medien (Luhmann 1997: 336), warum Hutter den "erkennbaren Kontrast der ästhetischen und der politischen Formen schwer[...]" unterscheiden kann (250): Denn Luhmanns Medium der Macht schließt bei der Alter/Ego-Kommunikation mit Handeln/Handeln anschließt - und nicht mit Erleben (Luhmann 1997: 355 ff.); aber Ästhetik ist intuitiv eher im Erleben als im Handeln verortet. (b) Mit Hilfe dieser Medientheorie Luhmanns braucht man möglicherweise nicht von der "Wertlogik des ästhetischen Erlebens" (26, Hervorh. L.E.) zu sprechen, denn nach Luhmann 'beginnt' die Kommunikation durch das Kunstmedium im Handeln von Alter (der Künstler malt) und schließt Ego an, das Publikum erlebt (sic!) (abstrakter dazu Luhmann 1997: 353 f.). 
Im Ergebnis scheint die Spielemetapher (zumindest in den untersuchten Textausschnitten von Hutter 2015) wenig zusätzliche theoretische Erklärungsleistung zu bieten, sofern man das Potential bei Luhmann ausschöpft. Die Spielemetapher verbessert sicherlich das Leseerlebnis, das einfachere Verständnis der Irritation zwischen verschiedenen Wertsphären und somit einen häufigeren Anschluss an Leser des Textes aufgrund des intuitiven Charakters des Spiels (17) und entsprechender Spielzüge.


---------Literatur

  • Axelrod, Robert (2005): Die Evolution der Kooperation. 6. Aufl. München: Oldenbourg.
  • Kapitanova, Janeta (2013): Regeln in sozialen Systemen. Wiesbaden: Springer VS
  • Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. 2 Bände. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Mölders, Marc (2016): Irritationsgestaltung. Seminare im WiSe 2014_15 und SoSe 2016, ekVV-Belegnummern: 300168 bzw. 300148. Universität Bielefeld. Online verfügbar unter https://ekvv.uni-bielefeld.de/kvv_publ/publ/vd?id=37979814, zuletzt geprüft am 08.04.2016.


Donnerstag, 5. Mai 2016

Wie sind Irritationen durch Konversationskreise möglich? (Hutter 1989: 90-104; 130-139)

1) Überblick: 
Im Folgenden werden Konversationskreise als Irritationen zwischen Wirtschaft und Recht im Text von Hutter dargestellt (2.1 - 2.2). Es folgt der Versuch eines selbstgewählten Anwendungsbeispiels (2.3) - das Embargo des Exportes von Wirtschaftsgütern in den Iran. Anschließend (2.4) werden zwei Fragen zur Übersetzungsleistung und zum Ort der Konversationskreise formuliert (mit Andeutungen zu Antworten).

2) Details:
2.1) "Wer irritiert wen?" und grob "Wie?"(zur Leitfrage in Mölders 2016):  Wirtschaftspersonen irritieren durch Konversationskreise Rechtspersonen und vice versa (941). "Personen werden als soziale Systeme, als Mitteilungsströme interpretiert" (94). "Entsteht eine Steigerung der Mitteilungsaktivität zwischen Wirtschafts- und Rechtspersonen führt dies zu autonom handelnden Konversationskreisen" (S. 90), über die  die "Konversationsteilnehmer [...] einen Teil ihrer eigenen Aktivitäten [...] laufen [lassen]" (94). Dieser Teil der Aktivitäten sind die durch o.g. Mitteilungsströme ausgelösten "Kommunikationshandlungen" (94), durch die sich die Konversationskreise reproduzieren (94). Das Mitteilungshandeln der jeweiligen Personen erfolgt im "primären Kontext" (91) der jeweiligen Leitunterscheidungen des Funktionssystems, hier Recht (Unrecht) oder Wirtschaft (Transaktionen, Geld).

2.2 Genauer zum "Wie?":  Personen können Unternehmen sein. "Sie versuchen, Mitteilungen zu finden, die für andere Personen wertvolle Information darstellen. Die anderen Personen reproduzieren diese Mitteilungen innerhalb ihrer eigenen Konversationen. Dadurch reproduzieren sie gleichzeitig die Einheit, die Identität der aussendenden Personen. Dieser Vorgang ist "verschränkt", d.h.: die anderen Personen verfahren genauso, und jeder Anfangspunkt der wechselseitigen Unterstellung von Identität, des "Einpflanzens der eigenen Identität in die interner Konversation anderen Personen, muss seinerseits unterstellt werden" (92). "[S]ie muss in der Lage sein, die eigene Identität zur Verhaltenskompetenz der Umweltsysteme zu machen" (92). "Konversationskreise zechnen sich gerade dadurch aus, daß sie mehrere Leitunterscheidungen präsent halten" (95).

2.3) "Wozu?"/Beispiel: Zunächst kann man sich ein Beispiel vergegenwärtigen, wie das Embargo des Exportes von Wirtschaftsgütern aus Europa in den Iran, da dieser u.a. durch die EU und die USA mittels wirtschaftlichen Sanktionen zu politischen Maßnahmen gezwungen werden sollte. Wie wird nun mittels der Funktionsweise der Konversationskreise ersichtlich, wozu diese Irritation erfolgt? Dies wird durch folgende Aussage bei Hutter klar: "Wenn Recht 'produziert' wird, dann induzieren Wirtschaftsmitteilungen Veränderungen im Recht, die in einer späteren Zeitperiode von Wirtschaftspersonen als Transaktionsmittel [...] verwendet werden können" (138). D.h. u.a. die EU und die USA produzieren Sanktionsrecht, was über Konversationskreise als Mitteilung in der Wirtschaft eine "wertvolle Information darstell[t]" (92), da es Einfluss auf die Transaktionen der Wirtschaft und entsprechenden Gewinn hat (Geld), da Waren eines EU-Unternehmens nicht mehr in der Iran exportiert werden können, was vor der Änderung des Rechts möglich war.

2.4) Fragen:
1) Wie erfolgt die Übersetzungsleistung in der Konversationskreisen mit den verschränkten Identitäten (92)? Vermutete Antwort: Es ist die "wertvolle Information" (92) der Rechtsproduktion, die als Informationsirritation in der Umwelt der Wirtschaftsperson auftaucht. Sie fragt sich, was diese Information für einen möglichen Einfluss auf die Transaktionen in ihrem eigenen Wirtschaftskontext hat? Es ist also die Frage nach der Relevanz oder des Wertes der Information; und wie diese in den Kontext der Wirtschaftsperson eingebaut wird.

2) Wo finden die Konversationskreise mit den beteiligten Personen statt? Hutter deutet es an, wenn er peripher zum primären Kontext von "intermediären Gruppen" spricht, die "mehrere Leitunterscheidungen präsent halten" (95). Man könnte sich das so vorstellen, dass die Rechtsabteilung in einer EU-Wirtschaftsorganisation sich nicht nur Rechtsänderungen als Texte zuschicken lässt, sondern gerade auch Kontakte mit Adressaten aus der EU-Bürokratie (oder über Wirtschafts-Lobby-Verbände) pflegt, die den aktuellen Stand des drohenden Iran-Embargos genauer kennen, da sie möglicherweise über die Kopplung des politischen System entsprechende "wertvolle Informationen" (92) besitzen; oder diese Information "als eigene Identität zu Verhaltenskompetenz der Umweltsystem zu machen"(92). Die identitäts-interne Konsequenz - an der primären Leitunterscheidung orientiert - wäre, Transaktionen in Form von Wirtschaftsgütern auf anderen Märkten versuchen zu platzieren.



-----------Fußnoten
1 Seitenangaben ohne Autor beziehen sich auf Hutter (1989)

-----------Literatur
Hutter, Michael (1989): Die Produktion von Recht. Eine selbstreferentielle Theorie der Wirtschaft, angewandt auf den Fall des Arzneimittelpatentrechts. Tübingen: J.C.B. Mohr.

Mölders, Marc (2016): Irritationsgestaltung. Seminare im WiSe 2014_15 und SoSe 2016, ekVV-Belegnummern: 300168 bzw. 300148. Universität Bielefeld. Online verfügbar unter https://ekvv.uni-bielefeld.de/kvv_publ/publ/vd?id=37979814, zuletzt geprüft am 08.04.2016.

Freitag, 29. April 2016

Wie sind Irritationen der Gesellschaft mittels politischer Kontextsteuerungen möglich? (zu Willke 2014: 135-162, entspricht den letzten Kapiteln 4.3 bis 5 des Buches)


Willke analysiert in den letzten Kapiteln seines spannenden Buches mit normativem Impetus die Steuerungsfähigkeit des politischen Systems, insbesondere mit Blick auf die Gesellschaft.

Im Anschluss an die Leitfrage des Seminars (Mölders 2016) sollen im Folgenden zunächst "nur" Fragen an den Text formuliert werden:
1)  "Wer oder was irritiert wen":
Irritiert das politische System die Gesellschaft? Willke sieht diese Möglichkeit, wenn er schreibt dass "politische Steuerung - durch Kontextsteuerung - nicht ausgeschlossen wird" (S. 143).
2) "Wie wird irritiert:"
Wie sind Irritationen mittels Kontextsteuerung möglich? Was ist eigentlich eine Kontextsteuerung genau, d.h. was sind Kontexte konkret? Umwelten von Systemen? Sinnkontexte? Strukturelle Koppplungen?
3) "Zu welchem Ende (wozu)":
Offenbar sollen die "Risiken aus der Dynamik der modernen Gesellschaft" (S. 140) minimiert werden oder die "Chancen der Demokratie" (S. 143) sich verbessern oder vermehren (S. 159), indem die "Kompetenzkompetenz" (was immer das ist) des politischen Systems sich "zur Kernkompetenz" bewegen solle: D.h. es müsse eine "neue Ausrichtung der Aufgabenstellung der Politik von der Reparatur zur Resilienz" erfolgen (S. 145). "Die Kernkompetenz der Gesellschaftssteuerung umfasst dann drei wesentliche Aufgaben: das Management struktureller Kopplungen, das Management systemischer Risiken und Kontingenzen sowie Koordination der Funktionssystem durch Kontextsteuerung" (S. 146) Im Kern scheint der Begriff der Kontextsteuerung und der Resilienz übrig zu bleiben, denn alle anderen Aufgaben absolviert die Politik bereits jetzt (wie gut oder schlecht auch immer dabei irritiert wird). Nicht umsonst schreibt Willke: "Das Modell der Resilienz stellt die Zukunft in den Mittelpunkt" (S. 148).
4) Interessant ist die konsequente Überlegung bei der "Stärkung der Problemlösungskompetenz [...] den historisch gewachsenen, nationalstaatlichen Kontext zu verlassen"(S. 160). Aber irritiert dann nur noch das weltpolitische System die Gesellschaft durch Kontextsteuerung? Wer legt letztgültig die Kontexte fest? Ist der Staat dann obsolet? Es bleiben spannende Fragen oder "Konfusion[en]" (Buchtitel) (was immer eine Konfusion ist), mit denen man sich beschäftigen müsste.

Mehr siehe: willke-im-interview

Literatur:

Mölders, Marc (2016): Irritationsgestaltung. Seminare im WiSe 2014_15 und SoSe 2016, ekVV-Belegnummern: 300168 bzw. 300148. Universität Bielefeld. Online verfügbar unter https://ekvv.uni-bielefeld.de/kvv_publ/publ/vd?id=37979814, zuletzt geprüft am 08.04.2016.

Willke, Helmut (2014): Demokratie in Zeiten der Konfusion. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Samstag, 23. April 2016

Warum irritiert das Rechtssystem eine Organisation so viel anders als eine TNC?

Genauer: Warum irritiert "das" Rechtssystem eine nationalstaatliche Organisation so viel anders als eine transnationale Organisation (TNC) - zumindest aus der Theoriebrille Luhmanns beobachtet?


Hypothese: Im Folgenden wird die Hypothese vertreten, dass in dem sehr spannenden Text von Teubner (2010) relativ viel theoretischer Aufwand betrieben wird, den man unter einer veränderten Beobachtung reduzieren könnte. Das soziologisch sehr interessante empirische Phänomen von TNCs auf Weltgesellschaftsebene gegenüber nationalstaatlichen Organisationen bleibt dabei logischerweise erhalten: Recht versus Ökonomie.

Zunächst vorab: In Bezug auf die Leitfrage des Seminars (Mölders 2016) wird davon ausgegangen, dass es in dem Text primär darum geht, dass nationalstaatliche Rechtssysteme Organisationen irritieren, beispielsweise "strukturelle Kopplung [...] zwischen Unternehmensorganisation und Recht" (S. 8). Zudem heißt die Sitzung "Irritation rechtstheoretisch" (Mölders 2016, Hervorh. LE). Eher am Rande werden Irritationen politischer Systeme auf TNCs erwähnt, beispielsweise "politische[...] Initiativen (S. 1) oder "NGOs" (S. 2 bzw.  21). Es soll nicht erneut diskutiert werden, ob ein Funktionssystem eine Organisation überhaupt direkt irritieren kann, wie es im obigen Beispiel vorkommt; denn beide Systeme liegen auf unterschiedlichen Komplexitätsebenen oder Ebenendifferenzierungen bei Luhmann (Heintz/Tyrell 2013). Es wird im Folgenden davon ausgegangen, dass sich entweder nur Funktionssysteme irritieren können oder analog wechselweise Organisationen (diese auf dem Umweg über entsprechende Funktionssysteme). Beispielsweise irritiert die "UNO" (S. 14) mit Kommunikationen im Rechtssystem eine TNC im ökonomischen System als eine System-zu-System-Beziehung oder Irritationskanal, wenn ein TNC aus der Modebranche mit Menschrechten in asiatischen Ländern laxer umgeht als in mitteleuropäischen Ländern (aus rein ökonomischen Gesichtspunkten rational nachvollziehbar, da die Stundenlöhne entsprechend differieren).

Zur Diskussion/Hypothese:
Teilt man alle Begriffe in die Bereiche Recht von Ökonomie, beispielsweise Juridifaktion bzw. private Normierung oder private ordering handelt es sich hier zunächst um eine Kopplung zweier Funktionssysteme. Dass Organisationen der Ökonomie sich an Rechtsvorschriften orientieren, alleine um Geld zu verdienen, statt in Rechtsprozesse verwickelt zu werden, ist evident. Nicht umsonst kann eine TNC laxer mit Rechtsvorschriften im asiatischen Raum umgehen, als es im mitteleuropäischen Raum normal ist. Somit muss es in einer TNC einen hinreichen abstrakten Wertecode geben (corporate governance oder private ordering), damit die Operationen der Organisation an die jeweiligen Gepflogenheiten der Staaten, in denen man ökonomisch jeweils tätig ist, angepasst wird. Ob es dazu der Begriffe Hyper- und Ultrazyklus bedarf, kann diskutiert werden - insbesondere wenn dann auf einmal von Netzwerken die Rede ist (S. 17). Warum von Irritation zwischen Netzwerken sprechen (S. 17), wenn es doch nichts anderes als Irritationen zwischen Subsystemen (Abteilungen/Firmen eines Konzerns) sind, die sich nur in etwas anders gearteten Rechtsräumen (Staaten) befinden. Ein gutes Beispiel bietet der Konzern B der ein Rechenzentrum in G (Deutschland) und in S (China) besitzt. In Mitteleuropa bekommen die Angestellten differenzierte Aufgabenstellung, in China ist das bei entsprechender sehr geringer Bezahlung nicht erlaubt. Letzteres wird über die Menge ausgeglichen, sodass geringfügige Anpassung in der TNC-Organisation man sich an das Rechtssystem vor Ort anpasst. Entsprechende Irritationen laufen von der chinesischen Abteilung zur arbeitstechnisch gleichen Abteilung in Deutschland. Beispielsweise werden Massenkonfigurationen von Netzwerken in China durchgeführt, in Deutschland wird das eher konzipiert. Somit stellt sich auch die Frage, ob von privater "Normierung" die Rede sein muss, da Normen primär im Rechtssystem erzeugt werden und die wenigen Normen in der TNC nichts anderes als arbeitstechnische Gepflogenheiten sind (eher Empirie als Theorie). Dann braucht auch der Code im Sinne Luhmanns nicht in einen Hybridcode aufgeteilt zu werden, genauso wie man den Code of Conduct in organisatorische Gepflogenheiten übersetzen könnte. Private ordering oder gar private Normierung wäre nichts anderes als das Ergebnis der Irritation zwischen den Subsystemen Gewerkschaft und ökonomisch arbeitenden Divisons (Bereiche, Abteilungen, Subsysteme). Selbstverständlich existieren Rechtskommunikationen in Organisationen der Ökonomie; ob man den Begriff des "law" in hard/soft law (S. 20) aus Sicht von Lumanns Theorie aufteilen muss bleibt diskussionfähig.

Literatur:

Heintz, Bettina; Tyrell, Hartmann (Hg.) (2013): Interaktion - Organisation - Gesellschaft. Stuttgart: Lucius & Lucius.

Mölders, Marc (2016): Irritationsgestaltung. Seminare im WiSe 2014_15 und SoSe 2016, ekVV-Belegnummern: 300168 bzw. 300148. Universität Bielefeld. Online verfügbar unter https://ekvv.uni-bielefeld.de/kvv_publ/publ/vd?id=37979814, zuletzt geprüft am 08.04.2016.


Teubner, Gunther (2010): Selbst-Konstitutionalisierung transnationaler Unternehmen? Zur Verknüpfung ' und 'staatlicher' Corporate Codes of Conduct. In: Stefan Grundmann, Brigitte Haar und Hanno Merkt (Hg.): Unternehmen, Markt und Verantwortung. Festschrift fur Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag am 24. August 2010. Berlin: De Gruyter, S. 1449–1470. Online verfügbar unter https://www.jura.uni-frankfurt.de/42828681/CSRdtFSHopt.pdf, zuletzt geprüft am 13.04.2016.

Mittwoch, 13. April 2016

"Irritation" bei Luhmann (1997: 789–801), genauer zur "Irritationsgestaltung" bei Mölders (2016, 2015, 2013/14)

Kommentar 1:

Es klang in der ersten Sitzung so, also ob Funktionssysteme nicht irritiert werden können. Zu einer Konkretisierung der Leitfrage des Seminars: Warum kann das Rechtssystem bei einer Gesetzesänderung das ökonomische System in Fragen veränderter Zahlungen nicht irritieren?

Beispiel: Wird der Soli-Zuschlag oder gar eine Verfassungsänderung durch das Rechtssystem durchgeführt, hat dies Konsequenzen auf die empirische Menge von Zahlungen oder Gewinnen im ökonomischen System.
     Auf eine geringere Komplexitätsebene der Organisation heruntergebrochen ist es natürlich so, dass eine Organisation des Rechtssystems (eine konkrete Verwaltungsstelle des politischen Systems) die Rechtsänderung umsetzt und die Organisationen des ökonomischen Systems letztgültig eine Änderung auf den Gehaltsabrechnungen ihrer Mitarbeiter durchführen muss.

Konsequenz: Wie in der ersten Sitzung angeklungen, können Organisationen irritiert werden, was das genannte Beispiel plausibilisiert. Wenn man diese Irritation jedoch "nur" abstrakter auf einer höheren Komplexitätsstufe formuliert (wie oben versucht), so könnte man doch auch sagen, dass ein Funktionssystem ein anderes irritiert? Ich stelle diese Frage zur Diskussion, da ich selbst dahingehend unsicher bin.

Hypothese: Irritation sind primär auf einer zeitlichen Dimension zu verorten. Die oben indirekt angedeutete strukturelle Kopplung zwischen Recht und Ökomonie ist eine auf der Sozial- und/oder Sachdimension. (Vermutlich schreibt Luhmann nicht umsonst zum einen, dass er "strukturelle Kopplungen voraussetz[t][...]" (1997: 789); und zum anderen behandelt er das Thema "strukturelle Kopplung" im davorliegenden Kapitel (1997: 776 ff.).

Ich freue mich auf weitere Diskussionen.

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Leitfrage: Wer oder was irritiert wen oder was wie und zu welchem Ende (wozu)?

-----------Literatur
Luhmann, Niklas (1997): Irritationen und Werte. In: Ders.: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 789–801.

Mölders, Marc (2013/14): Systeme da abholen, wo sie stehen? Systemangepasste Kritik, Aufklärung und Steuerung. Rezension zu: Hagendorff, Thilo, Sozialkritik und soziale Steuerung. Zur Methodologie systemangepasster Aufklärung. In: Soziale Systeme 19 (1), S. 198–203.

Mölders, Marc (2015): Der Wachhund und die Schlummertaste. Zur Rolle des Investigativ-Journalismus in Konstitutionalisierungsprozessen. In: Zeitschrift für Rechtssoziologie 35 (1), S. 49–67.

Mölders, Marc (2016): Irritationsgestaltung. Seminare im WiSe 2014_15 und SoSe 2016, ekVV-Belegnummern: 300168 bzw. 300148. Universität Bielefeld. Online verfügbar unter https://ekvv.uni-bielefeld.de/kvv_publ/publ/vd?id=37979814, zuletzt geprüft am 08.04.2016.