Montag, 14. Oktober 2019

Hatschiiii: Warum sagt 'man' kein "Gesundheit!" mehr?

Pascal: Kann es an der Individualisierungsthese von Parsons liegen?

Futuro (der feinfühliger Pilz): Nein, es liegt an Corona, der Göttin der Zucht und Ordnung:

Pascal: Nun, es ist doch gut, dass Ordnung existiert?

Nein, sagt Mäander, die Göttin der Mäeutik.

Ruhe da hinten, rief Pascal. Also Futuro, was willst du uns sagen?

Pascal: Schnuffel!!!!

Futuro: RRRRRrrrrrrggggggnnnnn, sein Drachen lenkt ihn wieder ab. Der ist aber auch so süß....

Pascal: Sorry, äh, was war die Frage? Außerirdische kommen zum Tee? Können die sich benehmen? (Luhmann)

Futuro: Mich interessiert deine Meinung zu Corona - zunächst: Es ist doch gut, dass die Massenmedien darüber berichten, oder?

Pascal: Oh, ja. Überleg' mal, was das für eine Aktivität ausgelöst hat. So ist man dem Erreger und seinem Vernichter doch viel schneller auf der Spur. Ich las, dass viele Forschungseinrichtungen dran sind - und Totoserve, mein Tenniskumpel meinte, ein Labor hätte schon erste Lösungen eines Impfstoffes 'entdeckt'. Und man kann sich doch mal in einer Firma auch Ruhe antun, oder?

Rego: Hallo!!!! Ich finde, das ist aber doch falsch!!!!

Medschedin: Bei uns feiern inzwischen alle krank - scheiß Revolution!

Pierro: Bleibt doch mal gelassen: was die die Sensations-Produktions-Maschine angeht (so meine Bezeichnung) spricht Niklas Luhmann in seinem Buch "Realität der Massenmedien" ganz sachlich(!!!) von einem "Anschein eines ... Faktenbezugs", und von „Inszenierung von Erzählungen“ (S. 140). Genauso ist es!

Hier das komplette Zitat: "Meinungskonflikte, die in den Massenmedien ausgetragen werden, operieren daher vielfach mit unterschiedlichen Kausalattributionen und geben sich dadurch den Anschein eines kompakten, nicht mehr auflösbaren Faktenbezugs. Ebenso erzeugen aber auch umgekehrt (und dies ist vielleicht der häufigere Fall) verkürzende Kausalattributionen Wertungen, Emotionen, Appelle, Proteste. Beides gilt für Nachrichten und Berichte, aber ebenfalls für die Inszenierung von Erzählungen und für eine …

Besonders charmant ist das Zitat auch deswegen, weil es in einem Kapitel vorkommt, dass die Überschrift "Die Konstruktion der Realität" trägt (Kapitel 11, S. 138).

Was ist eigentlich Realität, Wirklichkeit?

Na dann noch viel Spaß beim Denken



Dienstag, 6. August 2019

Was erklären Metaphern?

Zur Methode: Metaphern sind im Grunde Erklären durch Vergleich, also eher abduktive Theoriegenese - oder?

Donnerstag, 27. Juni 2019

Habermas - Theorie kommunikativen Handelns (1995a,b)

  1. Geltung == (hier "anerkennende Geltung") := Anerkennung, Ansehen, Beachtung, Wertschätzung; wobei "normative Geltung" := "empirische Anerkennung und Beachtung von Normen und juristischen Funktionsgegenständen" (Sandkühler 2010: 1263).
    1.  "Geltungsansprüche" sind "Wahrheit, Richtigkeit, Wahrhaftigkeit" (Edelmayer 2010: 32; vgl. Ha: 149, 376) und bei "[expressiven] Aussagen den Nachweis der Transparenz von Selbstdarstellungen" (Ha: 67). Diese Geltungsansprüche entsprechen den "drei Aktor-Weltbeziehungen": "der objektiven Welt [...]; der sozialen Welt [...]; der subjektiven Welt" (Ha: 149). 
    2. "Philosophische, objektive Gültigkeit (validity) := ist eine ausgezeichnete, zeitlose Qualität bestimmter Abstrakta wie: Propositionen und Urteile (davon abhängig auch: Sätze, die solche Urteile ausdrücken, und Meinungen über diese Urteile), logische Schlüsse, Erklärungen, Argumentationen, Beweise" (Sandkühler 2010: 1263).
  2. Rationalität (lat. ratio:=„Berechnung, Rechenschaft, Rechnung, Vernunft“ (Duden)) := 
    1. "bezieht sich auf die Fähigkeit von Personen, Verfahren des Begründens oder Rechtfertigens zu entwickeln, ihnen folgen und über sie zu verfügen zu können" (Sandkühler 2010: 3303); "begründete Behauptungen" und die "kritisiert werden" können (Ha: 34, 36).
    2. "Rationalität kann nicht mehr als einsehende Entfaltung und Beachtung vorgegebenen Sinnes verstanden werden. Sie ist zuallererst Reduktion von Komplexität" (Luhmann 1973: 14). "Reflexion erfordert, mit anderen Worten, die Einführung der Differenz von System-und Umwelt in das System. Wenn dies unter dem Gesichtspunkt der Einheit dieser Differenz geschieht, wollen wir von Rationalität sprechen" (Luhmann 1984: 617). 
    3. "In Zusammenhängen der Kommunikation nennen wir nicht nur denjenigen rational, der eine Behauptung aufstellt und diese gegenüber einem Kritiker begründen kann, indem er auf entsprechende Evidenzen hinweist. Rational nennen wir auch denjenigen, der eine bestehende Norm befolgt und sein Handeln gegenüber einem Kritiker rechtfertigen kann, indem er eine gegebene Situation im Lichte legitimer Verhaltenserwartungen erklärt. Rational nennen wir sogar denjenigen, der einen Wunsch, ein Gefühl oder eine Stimmung aufrichtig äußert, ein Geheimnis preisgibt, eine Tat eingesteht usw., und der dann einem Kritiker über das derart enthüllte Erlebnis Gewißheit  erschaffen kann, indem er daraus praktische Konsequenzen zieht und sich in der Folge konsistent verhält" (Ha: 34-35, Hervorh. d. Verf.), d.h. objektiv (Tatsache, konstativ, propositional wahr), sozial (Norm, regulativ, legitim) und subjektiv (Gefühl, expressiv, wahrhaftig) - gemäß den drei Weltbezügen (s.u.) (vgl. Ha: 34-36). Zu dem subjektiven Weltbezug kommen "evaluative Äußerungen" hinzu, wofür "gute Gründe" bestehen können, etwa "den Wunsch nach Ferien" (Ha: 36).
    4. Rein soziologisch geht es um "die Rationalität einer nicht nur vom Einzelnen, sondern von Kollektiven geteilten Lebenswelt" (Ha: 72).
  3. Vernunft := ist "das höchste Erkenntnisvermögen", wobei der "Verstand ein ihm untergeordnetes Moment oder Instrument" ist (Sandkühler 2010: 4298).
  4. Lebenswelt := "bezeichnet ganz allgemein die menschliche Welt in ihrer vorwissenschaftlichen Selbstverständlichkeit und Bedeutsamkeit. Obwohl der Begriff die Bestandteile ›Leben‹ und ›Welt‹ enthält, bezieht er sich dennoch auf ein einheitliches Phänomen: auf die Sinnstruktur der menschlichen Erfahrung, die in qualitativer Hinsicht durch Merkmale wie Vorreflexivität, Vertrautheit, Fraglosigkeit und Normalität charakterisiert ist" (Steinkühler 2010: 2108). Oder Lebenswelt := „die Gesamtheit der tatsächlichen und möglichen Erfahrungshorizonte menschlichen Lebens“ (Lautmann 1994a: 394; vgl. Husserl 1939: 48-49). Oder: "Deshalb sprechen Phänomenologen wie A. Schütz von der Lebenswelt als dem unthematisch mitgegebenen Horizont, innerhalb dessen sich die Kommunikationsteilnehmer gemeinsam bewegen, wenn sie sich thematisch auf etwas in der Welt beziehen" (Ha: 123; Abkürzung Ha:=Habermas 1995a, analog gilt Hb).
  5. Mit Hilfe der "Formalpragmatik" (früher Universalpragmatik) "geht es Habermas darum, jenes Regelsystem zu rekonstruieren, nach dem Situationen möglicher Rede (Verwendung von Sätzen in Äußerugen) hervorgebracht werden " Edelmayer (2010: 55).
  6. Die drei strukturellen Bestandteile von Sprechhandlungen sind: propositional, illokutionär und expressiv (Edelmayer 2010. 57-58). 
  7. Unterschied Lokution/Illokution:
    1. "Lokution ist der Akt, daß man etwas sagt"  (Strube 2017).
    2. "Illokution ist der Akt, den man vollzieht, indem man etwas sagt [...], z. B. raten oder feststellen; Austin spricht häufig auch von der «illocutionary force» einer Äußerung: Eine Äußerung hat die «Kraft» oder «Rolle» einer Feststellung" (Strube 2017).
    3. Oder: Ein "illokutionärer Akt" ist ein "von J. L. Austin eingeführter Terminus zur Bez. des Handlungszwecks der Äußerung eines lokutiven Akts [...]. Äußerungen kommt neben ihrer (zur Lokution gehörigen) Bedeutung eine spezif. Kraft (engl. force) zu, z. B. als Warnung oder als Versprechen oder als Frage etc. zu gelten. Indem man einen lokutiven Akt ausführt, führt man zugleich einen illokutiven Akt aus" (Glück/Rödel 2016: 281). 
    4. "Lokutionäre, illokutionäre und perlokutionäre Akte" und "performative Äußerungen": siehe Edelmayer (2010: 56-57) - bezugnehmen u.a. auf Austin (Ha: 389).
      1. "Mit lokutionären Akten drückt der Sprecher Sachverhalte aus; er sagt etwas. Mit illokutionären Akten vollzieht der Sprecher eine Handlung, indem er etwas sagt. [...] Mit perlokutionären Akten erzielt der Sprecher schließlich einen Effekt beim Hörer" (Ha: 389, Hervorh. getilgt).
      2. "Mit der illokutionären Kraft einer Äußerung kann ein Sprecher einen Hörer motivieren, sein Sprechaktangebot anzunehmen und damit eine rational motivierte Bindung einzugehen" (Ha: 376). Dies erfolgt normalerweise durch eine "performative Äußerung"; "sie vollziehen nämlich das, was sie aussagen" - bspw. "versprechen, befehlen" (Edelmayer 2010: 56).  Diese Kraft ein Sprechakt anzunehmen, heißt "commitment" (bei Searle), als Medium bei Parsons; Habermas baut es aus, wenn "wenn ein Sprecher die sprechakttypischen Commitments des Geltungsanspruchs einzulösen bereit ist, z. B. durch Begründungen, Missbilligungen oder Handlungen" (Preyer: 2018: 145, 158, 368, 163). Bei Luhmann sind die "commitments" eher die symbolisch generalisierte Medien, als eine "Form in einem Medium", hier der "Sprache" (WdG: 181).
      3. "Wie für illokutionäre Akte die Bedeutung des Gesagten konstitutiv ist, so für teleologische Handlungen die Intention des Handelnden" (Ha: 389).
      4. „Ich rechne also diejenigen sprachlich vermittelten Interaktionen, in denen alle Beteiligten mit ihren Sprechhandlungen illokutionäre Ziele und nur solche verfolgen, zum kommunikativen Handeln. Die Interaktionen hingegen, in denen mindestens einer der Beteiligten mit seinen Sprechhandlungen bei einem Gegenüber perlokutionäre Effekte hervorrufen will, betrachte ich als sprachlich vermitteltes strategisches Handeln“ (Ha: 396).
    5. Konstative Sprechakte sind solche, in denen Aussagesätze verwendet werden (Edelmayer 2010: 58). "Zusammenfassend läßt sich sagen, daß normenregulierte Handlungen, expressive Selbstdarstellungen und evaluative Äußerungen konstative Sprechhandlungen zu einer kommunikativen Praxis ergänzen" (Ha: 37).
    6. Es gibt "Weltbezüge (objektive, soziale, subjektive Welt)" gemäß Poppers Drei-Welten-Konzept (Edelmayer 2010: 32).
    7. Zu Sprechhandlungen:
      1. "Funktionen von Sprechhandlungen" (übernommen von Bühler) : "Der Darstellungsfunktion entspricht der Anspruch auf Wahrheit, der Selbstdarstellungsfunktion jener auf Wahrhaftigkeit und der interaktiven Funktion jener auf normative Gültigkeit" (Edelmayer 2010: 56).
      2. "Allgemein fasst Habermas Sprechhandlungen „als Mittel zum Zwecke der Verständigung auf“ (Habermas 1988b: 66), wobei dieser Zweck in zwei Aspekte unterteilt werden kann, nämlich einerseits, „daß der Hörer die Bedeutung des Gesagten verstehen und [andererseits, E.E.] die Äußerung als gültig anerkennen möge“ (ebenda, Hervorh. i. Ori.)" (Edelmayer 2010: 56).
      3. "Sprechhandlungen (elementare Äußerungen [bilden] die grundlegenden Einheiten der Rede" (Edelmayer 2010: 55) - siehe oben dazu den philosophischen Grundbegriff der Geltung.
      4. "Die formale Semantik legt einen begrifflichen Schnitt zwischen die Bedeutung eines Satzes und die Meinung des Sprechers, der mit dem Satz, wenn er ihn in einem Sprechakt verwendet, etwas anderes sagen kann, als dieser wörtlich bedeutet. [...] Unsere Analyse beschränkt sich [...] auf Sprechhandlungen, die unter Standardbedingungen ausgeführt werden. Damit soll sichergestellt werden, daß ein Sprecher nichts anderes meint als die wörtliche Bedeutung dessen, was er sagt" (Ha: 400). 
    8. "Ein Argument besteht aus mehr als nur einer Aussage: es besteht aus einer Konklusion und den Gründen, die zu ihrer Stützung angegeben wurden" (Salmon 1983: 8). 
      1. "Argumentation nennen wir den Typus von Rede, in dem die Teilnehmer strittige Geltungsansprüche thematisieren und versuchen, diese mit Argumenten einzulösen oder zu kritisieren. Ein Argument enthält Gründe, die in systematischer Weise mit dem Geltungsanspruch einer problematischen Äußerung verknüpft sind" (Ha: 38, Hervorh. getilgt). 
      2. Da die "kommunikative] Praxis [...] auf [...] [Konsens] angelegt ist, [...] der auf der intersubjektiven Anerkennung kritisierbarer Geltungsansprüche beruht", zeigt sich "die dieser Praxis innewohnende[n] Rationalität [...] darin, daß sich ein kommunikativ erzieltes Einverständnis letztlich auf Gründe stützen muß" (Ha: 37, Hervorh. getilgt). Deswegen muß "der Begriff der kommunikativen Rationalität [...] durch eine Theorie der Argumentation angemessen expliziert werden" (Ha: 38).
      3. "Die »Stärke« eines Arguments bemißt sich, in einem gegebenen Kontext, an der Triftigkeit der Gründe; diese zeigt sich u. a. daran, ob ein Argument die Teilnehmer eines Diskurses überzeugen, d. h. zur Annahme des jeweiligen Geltungsanspruchs motivieren kann" (Ha: 38).
      4. Die in "Äußerungen [...] erhobenen Geltungsansprüche" lassen sich in füf "Aussageformen" einteilen: "Wahrheit [....] normative Sätze [...] evaluative Sätze (oder Werturteile) [...], Explikationen" und "expressive Aussagen" (Ha: 66-67).  (Die ersten vier sind universale Geltungsansprüche (Ha: 71).)
      5. "Sobald sich kulturelle Handlungssysteme wie Wissenschaft, Recht und Kunst ausdifferenzieren, beziehen sich die institutionell verstetigten, professionell eingerichteten, also von Experten durchgeführten Argumentationen auf solche höherstufigen Geltungsansprüche, die nicht an einzelnen kommunikativen Äußerungen, sondern an kulturellen Objektivationen, an Kunstwerken, Moral- und Rechtsnormen oder an Theorien haften" (Ha: 68).
    9. Folgende "Handlungstypen" ("kennzeichnende Sprechakte") mit ihrer "Weltbeziehung" unterscheidet Habermas: "strategisches Handeln" (Perlokutionen, Imperative) und "Konversation" (Konstative) in der "objektive[n] Welt", "normenreguliertes Handeln" (Regulative) in der "soziale[n] Welt", "dramaturgisches Handeln" (Expressive) in der "subjektiven Welt" (Ha: 439). Für Habermas sind das "Grenzfälle des kommunikativen Handelns" (Ha: 438) oder "Handlungstypen erster Stufe" (Ha: 174).
    10. Habermas spricht von "kommunikativen Handlungen, wenn die Handlungspläne der beteiligten Aktoren nicht über egozentrische Erfolgskalküle, sondern über Akte der Verständigung koordiniert werden", also keine "strategisch[e]" oder "erfolgsorientierte Handlung" (Ha: 385, Hervorh. getilgt). "Einverständnis ist propositional differenziert" (Ha: 386).
    11. Hinführung zum kommunikativen Handeln:
      1. Zwar "bietet nicht jede sprachlich vermittelte Interaktion ein Beispiel für verständigungsorientiertes Handeln", jedoch zeigt Habermas, dass "der verständigungsorientierte Sprachgebrauch der Originalmodus ist": durch die "Unterscheidung zwischen Illokutionen und Perlokutionen" (Ha: 388, Hervorh. i. Ori.). 
      2. "Ein teleologisch handelnder Sprecher muß sein illokutionäres Ziel, daß der Hörer das Gesagte versteht und die mit der Annahme des Sprechaktangebots verbundenen Verpflichtungen eingeht, erreichen, ohne daß er sein perlokutionäres Ziel verrät. Dieser Vorbehalt verleiht Perlokutionen den eigentümlich asymmetrischen Charakter von verdeckt strategischen Handlungen. Dies sind Interaktionen, in denen sich mindestens einer der Beteiligten strategisch verhält, während er andere Beteiligte darüber täuscht, daß er diejenigen Voraussetzungen nicht erfüllt, unter denen normalerweise illokutionäre Ziele nur erreicht werden können. Auch deshalb eignet sich dieser Typus von Interaktion nicht für eine Analyse, die den sprachlichen Mechanismus der Handlungskoordinierung mit Hilfe des illokutionären Bindungseffekts von Sprechhandlungen erklären soll. Für diesen Zweck empfiehlt sich ein Typus von Interaktion, der nicht mit den Asymmetrien und Vorbehalten von Perlokutionen belastet ist. Diese Art von Interaktionen, in denen alle Beteiligten ihre individuellen Handlungspläne aufeinander abstimmen und daher ihre illokutionären Ziele vorbehaltlos verfolgen, habe ich kommunikatives Handeln genannt" (Ha: 395, Hervorh. i. Ori.).
      3. "Ich rechne also diejenigen sprachlich vermittelten Interaktionen, in denen alle Beteiligten mit ihren Sprechhandlungen illokutionäre Ziele und nur solche verfolgen, zum kommunikativen Handeln. Die Interaktionen hingegen, in denen mindestens einer der Beteiligten mit seinen Sprechhandlungen bei einem Gegenüber perlokutionäre Effekte hervorrufen will, betrachte ich als sprachlich vermitteltes strategisches Handeln" (Ha: 396). "Kommunikatives Handeln zeichnet sich gegenüber strategischen Interaktionen dadurch aus, daß alle Beteiligten illokutionäre Ziele vorbehaltlos verfolgen, um ein Einverständnis zu erzielen" (Ha: 397).
      4. Um von Sprechhandlungen zum kommunikativen Handeln zu kommen, muss man unterscheiden: "zwischen einer Sprechhandlung und dem Interaktionszusammenhang, den sie durch ihre handlungskoordinierende Leistung konstituiert", weil "Sprechhandlungen als Koordinationsmechanismen für andere Handlungen funktionieren" (Ha: 397).
      5. Genauer: "Für institutionell gebundene Sprechhandlungen lassen sich stets bestimmte Institutionen angeben; für institutionell ungebundene Sprechhandlungen lassen sich lediglich allgemeine Kontextbedingungen angeben, die typischerweise erfüllt sein müssen, damit ein entsprechender Akt gelingen kann. Um zu erklären, was Wett- oder Taufakte bedeuten, muß ich mich auf die Institution der Wette oder der Taufe beziehen. Hingegen stellen Befehle oder Ratschläge oder Fragen keine Institutionen dar, sondern Sprechhandlungstypen, die zu sehr verschiedenen Institutionen passen" (Habermas 1976: 221, zit. i. Ha: 397).
    12. Kennzeichnend für kommunikatives Handeln ist also das Einverständnis: "Verständigung funktioniert als handlungskoordinierender Mechanismus nur in der Weise, daß sich die Interaktionsteilnehmer über die beanspruchte Gültigkeit ihrer Äußerungen einigen, d. h. Geltungsansprüche, die sie reziprok erheben, intersubjektiv anerkennen" (Ha: 148).
    13. zum Anschluss von Handlungen: Damit H (der Hörer) "weiß [...], wie er seine Handlungen an die Handlungen von S anschließen könnte", muss er sowohl die "Akzeptabilitätsbedingungen" und die "Erfüllungsbedingungen" annehmen bzw. erfüllen, als auch die "Bedingungen für das Einverständnis, welches die Einhaltung der interaktionsfolgenrelevanten Verbindlichkeiten erst begründet" annehmen; bspw. einen "Machtanspruch", bei dem "die Erfüllungsbedingungen durch Sanktionsbedingungen ergänzt werden" müssen (Ha: 402-404, Hervorh. getilgt). Eine Begründung kann aber auch sein, sich "auf die Gültigkeit von Normen [berufen]" (Ha: 405). Der "Geltungsanspruch", der "intern mit Gründen verknüpft" ist, kann "in Form einer Kritik zurückgewiesen" werden (Ha: 405).
    14. "rational motivieren": "Ein Sprecher [verdankt] die bindende Kraft [...] dem Koordinationseffekt der Gewähr, die er dafür bietet, den mit seiner Sprechhandlung erhobenen Geltungsanspruch gegebenenfalls einzulösen" (Ha: 406, Hervorh. i. Ori.). 
    15. Zur Gesellschaftstheorie
      1. "Die Modernisierung von Gesellschaften [kann] als Rationalisierung beschrieben werden" (Ha: 8; Abkürzung Ha:=Habermas 1995a, analog gilt Hb).
      2. "Für jede Soziologie mit gesellschaftstheoretischem Anspruch, wenn sie nur radikal genug verfährt, [stellt] das Problem der Rationalität gleichzeitig auf metatheoretischer, auf methodologischer und auf empirischer Ebene" (Ha: 23)  (mehr zu den Ebenen siehe unten).
      3. Es "kann die Gesellschaft aus der Beobachterperspektive eines Unbeteiligten nur als ein System von Handlungen begriffen werden, wobei diesen Handlungen, je nach ihrem Beitrag zur Erhaltung des Systembestandes, ein funktionaler Stellenwert zukommt. [...] Ich möchte deshalb vorschlagen, Gesellschaften gleichzeitig als System und Lebenswelt zu konzipieren" (Hb: 179-180). (Zur Gesellschaftstheorie in Habermas Werk siehe Jäger/Baltes-Schmitt 2003).
      4. Trends zur Rationalisierung der Lebenswelt gehen "nicht auf ein zugeschriebenes normatives Einverständnis zurück-, sondern [gehen] aus den kooperativen Deutungsprozessen der Beteiligten selbst hervor" (Hb: 220, Hervorh. i. Ori.). (Autopoiesis?)
      5. Es "ergibt sich [...] nicht, daß sich das über soziale Räume und historische Zeiten ersteckende Gewebe von Interaktion allein aus Absichten und Entscheidungen der Beteiligten erklären ließe" (Hb: 224) (Widerspricht er hier der Rational Choice, siehe einschränkend Schimank mit Zusammenwirkenden Handeln
      6. "Indem sich die Interaktionsteilnehmer miteinander über ihre Situation verständigen, stehen sie in einer kulturellen Überlieferung, die sie gleichzeitig benützen und erneuern; indem die Interaktionsteilnehmer ihre Handlungen über die intersubjektive Anerkennung kritisierbarer Geltungsansprüche koordinieren, stützen sie sich auf Zugehörigkeiten zu sozialen Gruppen und bekräftigen gleichzeitig deren Integration; indem die Heranwachsenden an Interaktionen mit kompetent handelnden Bezugspersonen teilnehmen, internalisieren sie die Wertorientierungen ihrer sozialen Gruppe und erwerben generalisierte Handlungsfähigkeiten" (Hb: 208).
      7. "Unter dem funktionalen Aspekt der Verständigung dient kommunikatives Handeln der Tradition und der Erneuerung kulturellen Wissens; unter dem Aspekt der Handlungskoordinierung dient es der sozialen Integration und der Herstellung von Solidarität; unter dem Aspekt der Sozialisation schließlich dient kommunikatives Handeln der Ausbildung von personalen Identitäten. Die symbolischen Strukturen der Lebenswelt reproduzieren sich auf dem Wege der Kontinuierung von gültigem Wissen, der Stabilisierung von Gruppensolidarität und der Heranbildung zurechnungsfähiger Aktoren. Der Reproduktionsprozeß schließt neue Situationen an die bestehenden Zustände der Lebenswelt an, und zwar in der semantischen Dimension von Bedeutungen oder Inhalten (der kulturellen Überlieferung) ebenso wie in den Dimensionen des sozialen Raumes (von sozial integrierten Gruppen) und der historischen Zeit (der aufeinander folgenden Generationen). Diesen Vorgängen der kulturellen Reproduktion, der sozialen Integration und der Sozialisation entsprechen die strukturellen Komponenten der Lebenswelt Kultur, Gesellschaft und Person" (Hb: 208-209).
    16. dreiteilige "Ebene[n]"-Struktur der soziologischen Theorie: 
      1. "methatheoretisch": ein "handlungstheoretisch[er] Rahmen, der im Hinblick auf rationalisierungsfähige Aspekte des Handelns konzipiert ist" (Ha: 22).
      2. "methodologisch": eine "Theorie des Sinnverstehens, die interne Beziehungen zwischen Bedeutung und Geltung (zwischen der Explikation der Bedeutung einer symbolischen Äußerung und der Stellungnahme zu deren impliziten Geltungsansprüchen) klärt" (Ha: 22).
      3. "empirisch": "ob und in welchem Sinne die Modernisierung einer Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt von kultureller und gesellschaftlicher Rationalisierung beschrieben werden kann" (Ha: 22).
    17. "Die Lebenswelt als der Horizont, in dem sich die kommunikativ Handelnden »immer schon« bewegen, [wird] ihrerseits durch den Strukturwandel der Gesellschaft im ganzen begrenzt und verändert" (Hb: 182). (Meiner Meinung nach eine Verallgemeinerung der Kolonialisierungsthese.) 
    18. "In strukturell ausdifferenzierten Lebenswelten prägt sich ein Vernunftpotential aus, das nicht auf den Begriff der Steigerung von Systemkomplexität gebracht werden kann" (Ha: 10).
    19. "Kulturelle Deutungssysteme oder Weltbilder, die das Hintergrundwissen sozialer Gruppen spiegeln, [bürgen] [...] für einen Zusammenhang in der Mannigfaltigkeit ihrer Handlungsorientierungen" (Ha: 73). Habermas will sich nach den "Bedingungen erkundigen, die die Strukturen handlungsorientierender Weltbilder erfüllen müssen, wenn für diejenigen, die ein solches Weltbild teilen, eine rationale Lebensführung möglich sein soll" (Ha: 73).
    Meine gewonnenen Erkenntnisse:
    1. Es existiert kein normativ-kritischer Bias, die Handlungs-Theorie ist wertneutral angelegt - auch die Gesellschaftstheorie in ihrer Basis (System/Lebenswelt). Das erkennt man etwa an seinem Kommentar zum Entdeckungszusammenhang: "Diese Bemerkung (o.g. These der Unabhängigkeit von Vernunft und Systemkomplexität, d. Verf.) betrifft freilich nur den motivationalen Hintergrund, nicht das eigentliche Thema" (Ha: 10). Anders ist das bei Schlußfolgerungen  - bpsw. der Kolonialisierungsthese - oder Bemerkungen, etwa: "sozial desintegrierenden Nebenfolgen dieses Wachstums" (Ha: 10). 
    2. Bei der These der "Kolonialisierung der Lebenswelt" habe ich Bedenken: Ist das überhaupt negativ zu bewerten  (Ha:10)? Warum ist das ein Problem? 
    3. Statt des Begriffs Sprechhandlungen ließe sich auch von Kommunikationen reden. Denn es wird etwas gesagt (Information) und soll etwas verstanden werden (Verstehen) (siehe oben Punkt 10.2 Sprechhandlungen) - neu ist: es soll auch als gültig anerkannt werden (vgl. Edelmayer 2010: 56). Aber: Es fehlt die Mitteilung, da (siehe Punkt 10.4), da zu Standardbedingungen die Bedeutung und das Gemeinte idealiter identisch konzipiert wird. (Es stellt sich die Frage, ob an einer anderen Stelle des Werkes der Unterschied von beidem bearbeitet wird. Denn daraus würden sich latente Strukturen (Beobachter zweiter Ordnung) entdecken lassen.)
    4. Habermas thematisiert auch wie Luhmann die Gründe der Anschlussfähigkeit von Handlungen (siehe Punkt 16), jedoch nicht über Medien, sondern über Gründe (also im Grunde über Regeln?). Außerdem gibt es "Quellen generalisierter Annahmebereitschaft [...] Stärke [...] Besitz [...] Wissen [...] Zurechnungsfähigkeit" (Hb: 271), was an die Kommunikationsmedien (Macht, Geld/Eigentum, Wissen, Liebe) bei Luhmann erinnert. Inwieweit kann man von Habermas was übernehmen (yBe)?
    5. Leider befasst das kommunikative Handeln sich nicht mit allem sozialen Handeln, denn Habermas schreibt: "Nachdem ich kommunikative Handlungen von allen übrigen sozialen Handlungen durch ihren illokutionären Bindungseffekt abgegrenzt habe ..." (Ha: 410-411); es ist also keine universale Handlungstheorie!
    6. Luhmanns Kommunikationstheorie müsste um den Formalpragmatismus von Habermas erweitert werden (yBe). In seiner Konsequenz ließen sich zwischen Systemen die strukturelle Kopplungen als kausale Relationen von Gründen darstellen
      1. Information=Erleben=Geltungsgründe(Propositionen); 
      2. Mitteilung=Handeln=Funktionen von Sprechhandlungen (Darstellung/Wahrheit; Selbstdarstellung/Wahrhaftigkeit; Interaktion/Normativität) - Problem: Konflikt mit der Medientheorie? Oder genau diese dabei integrieren?
    7. Interessen (WdG, yBe), Lebenswelt (yBe).


    -------Literatur, Siglen
    • Edelmayer, Erika (2012): Das diskursfähige Subjekt. Rekonstruktionspfade einer sozialtheoretischen Denkfigur im Werk von Jürgen Habermas. Wiesbaden: Springer VS.
    • Glück, Helmut; Rödel, Michael (Hg.) (2016): Metzler Lexikon Sprache. 5. Aufl. Stuttgart: J.B. Metzler.
    • Habermas, Jürgen (1976): Was heißt Universalpragmatik? In: Karl-Otto Apel (Hg.): Sprachpragmatik und Philosophie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 174–272.
    • Habermas, Jürgen (1995a): Theorie des kommunikativen Handelns. Band 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. 2 Bände. Frankfurt am Main: Suhrkamp (1).
    • Habermas, Jürgen (1995b): Theorie des kommunikativen Handelns. Band 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. 2 Bände. Frankfurt am Main: Suhrkamp (2).
    • Husserl, Edmund (1939): Erfahrung und Urteil. Untersuchungen zur Genealogie der Logik. (Hg. Ludwig Landgrebe.) Prag: Academia.
    • Jäger, Wieland; Baltes-Schmitt, Marion (2003): Jürgen Habermas. Einführung in die Theorie der Gesellschaft. Wiesbaden: VS.
    • Lautmann, Rüdiger (1994a): Lebenswelt. In: Werner Fuchs-Heinritz, Rüdiger Lautmann, Otthein Rammstedt und Hanns Wienold (Hg.): Lexikon zur Soziologie. 3. Aufl. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 394.
    • Luhmann, Niklas (1973): Zweckbegriff und Systemrationalität. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
    • Luhmann, Niklas (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
    • Preyer, Gerhard (2018): Soziologische Theorie der Gegenwartsgesellschaft II. Lebenswelt - System - Gesellschaft. Wiesbaden: Springer VS.
    • Salmon, Wesley C. (1983): Logik. Stuttgart: Reclam.
    • Sandkühler, Hans Jörg (Hg.) (2010): Enzyklopädie Philosophie. 3 Bände. Hamburg: Meiner.
    • Strube, Werner (2017): Lokutionärer Akt/illokutionärer Akt. In: Joachim Ritter, Karlfried Gründer, Gottfried Gabriel, Stefan Lorenz, Winfried Schröder und Klaus Foppa (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie online. Basel: Schwabe Verlag. Online verfügbar unter https://bit.ly/32R9e7y, zuletzt geprüft am 25.07.2019.
    Siglen:
    • WdG=Wissenschaft der Gesellschaft: Luhmann 1990.