Freitag, 29. April 2016

Wie sind Irritationen der Gesellschaft mittels politischer Kontextsteuerungen möglich? (zu Willke 2014: 135-162, entspricht den letzten Kapiteln 4.3 bis 5 des Buches)


Willke analysiert in den letzten Kapiteln seines spannenden Buches mit normativem Impetus die Steuerungsfähigkeit des politischen Systems, insbesondere mit Blick auf die Gesellschaft.

Im Anschluss an die Leitfrage des Seminars (Mölders 2016) sollen im Folgenden zunächst "nur" Fragen an den Text formuliert werden:
1)  "Wer oder was irritiert wen":
Irritiert das politische System die Gesellschaft? Willke sieht diese Möglichkeit, wenn er schreibt dass "politische Steuerung - durch Kontextsteuerung - nicht ausgeschlossen wird" (S. 143).
2) "Wie wird irritiert:"
Wie sind Irritationen mittels Kontextsteuerung möglich? Was ist eigentlich eine Kontextsteuerung genau, d.h. was sind Kontexte konkret? Umwelten von Systemen? Sinnkontexte? Strukturelle Koppplungen?
3) "Zu welchem Ende (wozu)":
Offenbar sollen die "Risiken aus der Dynamik der modernen Gesellschaft" (S. 140) minimiert werden oder die "Chancen der Demokratie" (S. 143) sich verbessern oder vermehren (S. 159), indem die "Kompetenzkompetenz" (was immer das ist) des politischen Systems sich "zur Kernkompetenz" bewegen solle: D.h. es müsse eine "neue Ausrichtung der Aufgabenstellung der Politik von der Reparatur zur Resilienz" erfolgen (S. 145). "Die Kernkompetenz der Gesellschaftssteuerung umfasst dann drei wesentliche Aufgaben: das Management struktureller Kopplungen, das Management systemischer Risiken und Kontingenzen sowie Koordination der Funktionssystem durch Kontextsteuerung" (S. 146) Im Kern scheint der Begriff der Kontextsteuerung und der Resilienz übrig zu bleiben, denn alle anderen Aufgaben absolviert die Politik bereits jetzt (wie gut oder schlecht auch immer dabei irritiert wird). Nicht umsonst schreibt Willke: "Das Modell der Resilienz stellt die Zukunft in den Mittelpunkt" (S. 148).
4) Interessant ist die konsequente Überlegung bei der "Stärkung der Problemlösungskompetenz [...] den historisch gewachsenen, nationalstaatlichen Kontext zu verlassen"(S. 160). Aber irritiert dann nur noch das weltpolitische System die Gesellschaft durch Kontextsteuerung? Wer legt letztgültig die Kontexte fest? Ist der Staat dann obsolet? Es bleiben spannende Fragen oder "Konfusion[en]" (Buchtitel) (was immer eine Konfusion ist), mit denen man sich beschäftigen müsste.

Mehr siehe: willke-im-interview

Literatur:

Mölders, Marc (2016): Irritationsgestaltung. Seminare im WiSe 2014_15 und SoSe 2016, ekVV-Belegnummern: 300168 bzw. 300148. Universität Bielefeld. Online verfügbar unter https://ekvv.uni-bielefeld.de/kvv_publ/publ/vd?id=37979814, zuletzt geprüft am 08.04.2016.

Willke, Helmut (2014): Demokratie in Zeiten der Konfusion. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Samstag, 23. April 2016

Warum irritiert das Rechtssystem eine Organisation so viel anders als eine TNC?

Genauer: Warum irritiert "das" Rechtssystem eine nationalstaatliche Organisation so viel anders als eine transnationale Organisation (TNC) - zumindest aus der Theoriebrille Luhmanns beobachtet?


Hypothese: Im Folgenden wird die Hypothese vertreten, dass in dem sehr spannenden Text von Teubner (2010) relativ viel theoretischer Aufwand betrieben wird, den man unter einer veränderten Beobachtung reduzieren könnte. Das soziologisch sehr interessante empirische Phänomen von TNCs auf Weltgesellschaftsebene gegenüber nationalstaatlichen Organisationen bleibt dabei logischerweise erhalten: Recht versus Ökonomie.

Zunächst vorab: In Bezug auf die Leitfrage des Seminars (Mölders 2016) wird davon ausgegangen, dass es in dem Text primär darum geht, dass nationalstaatliche Rechtssysteme Organisationen irritieren, beispielsweise "strukturelle Kopplung [...] zwischen Unternehmensorganisation und Recht" (S. 8). Zudem heißt die Sitzung "Irritation rechtstheoretisch" (Mölders 2016, Hervorh. LE). Eher am Rande werden Irritationen politischer Systeme auf TNCs erwähnt, beispielsweise "politische[...] Initiativen (S. 1) oder "NGOs" (S. 2 bzw.  21). Es soll nicht erneut diskutiert werden, ob ein Funktionssystem eine Organisation überhaupt direkt irritieren kann, wie es im obigen Beispiel vorkommt; denn beide Systeme liegen auf unterschiedlichen Komplexitätsebenen oder Ebenendifferenzierungen bei Luhmann (Heintz/Tyrell 2013). Es wird im Folgenden davon ausgegangen, dass sich entweder nur Funktionssysteme irritieren können oder analog wechselweise Organisationen (diese auf dem Umweg über entsprechende Funktionssysteme). Beispielsweise irritiert die "UNO" (S. 14) mit Kommunikationen im Rechtssystem eine TNC im ökonomischen System als eine System-zu-System-Beziehung oder Irritationskanal, wenn ein TNC aus der Modebranche mit Menschrechten in asiatischen Ländern laxer umgeht als in mitteleuropäischen Ländern (aus rein ökonomischen Gesichtspunkten rational nachvollziehbar, da die Stundenlöhne entsprechend differieren).

Zur Diskussion/Hypothese:
Teilt man alle Begriffe in die Bereiche Recht von Ökonomie, beispielsweise Juridifaktion bzw. private Normierung oder private ordering handelt es sich hier zunächst um eine Kopplung zweier Funktionssysteme. Dass Organisationen der Ökonomie sich an Rechtsvorschriften orientieren, alleine um Geld zu verdienen, statt in Rechtsprozesse verwickelt zu werden, ist evident. Nicht umsonst kann eine TNC laxer mit Rechtsvorschriften im asiatischen Raum umgehen, als es im mitteleuropäischen Raum normal ist. Somit muss es in einer TNC einen hinreichen abstrakten Wertecode geben (corporate governance oder private ordering), damit die Operationen der Organisation an die jeweiligen Gepflogenheiten der Staaten, in denen man ökonomisch jeweils tätig ist, angepasst wird. Ob es dazu der Begriffe Hyper- und Ultrazyklus bedarf, kann diskutiert werden - insbesondere wenn dann auf einmal von Netzwerken die Rede ist (S. 17). Warum von Irritation zwischen Netzwerken sprechen (S. 17), wenn es doch nichts anderes als Irritationen zwischen Subsystemen (Abteilungen/Firmen eines Konzerns) sind, die sich nur in etwas anders gearteten Rechtsräumen (Staaten) befinden. Ein gutes Beispiel bietet der Konzern B der ein Rechenzentrum in G (Deutschland) und in S (China) besitzt. In Mitteleuropa bekommen die Angestellten differenzierte Aufgabenstellung, in China ist das bei entsprechender sehr geringer Bezahlung nicht erlaubt. Letzteres wird über die Menge ausgeglichen, sodass geringfügige Anpassung in der TNC-Organisation man sich an das Rechtssystem vor Ort anpasst. Entsprechende Irritationen laufen von der chinesischen Abteilung zur arbeitstechnisch gleichen Abteilung in Deutschland. Beispielsweise werden Massenkonfigurationen von Netzwerken in China durchgeführt, in Deutschland wird das eher konzipiert. Somit stellt sich auch die Frage, ob von privater "Normierung" die Rede sein muss, da Normen primär im Rechtssystem erzeugt werden und die wenigen Normen in der TNC nichts anderes als arbeitstechnische Gepflogenheiten sind (eher Empirie als Theorie). Dann braucht auch der Code im Sinne Luhmanns nicht in einen Hybridcode aufgeteilt zu werden, genauso wie man den Code of Conduct in organisatorische Gepflogenheiten übersetzen könnte. Private ordering oder gar private Normierung wäre nichts anderes als das Ergebnis der Irritation zwischen den Subsystemen Gewerkschaft und ökonomisch arbeitenden Divisons (Bereiche, Abteilungen, Subsysteme). Selbstverständlich existieren Rechtskommunikationen in Organisationen der Ökonomie; ob man den Begriff des "law" in hard/soft law (S. 20) aus Sicht von Lumanns Theorie aufteilen muss bleibt diskussionfähig.

Literatur:

Heintz, Bettina; Tyrell, Hartmann (Hg.) (2013): Interaktion - Organisation - Gesellschaft. Stuttgart: Lucius & Lucius.

Mölders, Marc (2016): Irritationsgestaltung. Seminare im WiSe 2014_15 und SoSe 2016, ekVV-Belegnummern: 300168 bzw. 300148. Universität Bielefeld. Online verfügbar unter https://ekvv.uni-bielefeld.de/kvv_publ/publ/vd?id=37979814, zuletzt geprüft am 08.04.2016.


Teubner, Gunther (2010): Selbst-Konstitutionalisierung transnationaler Unternehmen? Zur Verknüpfung ' und 'staatlicher' Corporate Codes of Conduct. In: Stefan Grundmann, Brigitte Haar und Hanno Merkt (Hg.): Unternehmen, Markt und Verantwortung. Festschrift fur Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag am 24. August 2010. Berlin: De Gruyter, S. 1449–1470. Online verfügbar unter https://www.jura.uni-frankfurt.de/42828681/CSRdtFSHopt.pdf, zuletzt geprüft am 13.04.2016.

Mittwoch, 13. April 2016

"Irritation" bei Luhmann (1997: 789–801), genauer zur "Irritationsgestaltung" bei Mölders (2016, 2015, 2013/14)

Kommentar 1:

Es klang in der ersten Sitzung so, also ob Funktionssysteme nicht irritiert werden können. Zu einer Konkretisierung der Leitfrage des Seminars: Warum kann das Rechtssystem bei einer Gesetzesänderung das ökonomische System in Fragen veränderter Zahlungen nicht irritieren?

Beispiel: Wird der Soli-Zuschlag oder gar eine Verfassungsänderung durch das Rechtssystem durchgeführt, hat dies Konsequenzen auf die empirische Menge von Zahlungen oder Gewinnen im ökonomischen System.
     Auf eine geringere Komplexitätsebene der Organisation heruntergebrochen ist es natürlich so, dass eine Organisation des Rechtssystems (eine konkrete Verwaltungsstelle des politischen Systems) die Rechtsänderung umsetzt und die Organisationen des ökonomischen Systems letztgültig eine Änderung auf den Gehaltsabrechnungen ihrer Mitarbeiter durchführen muss.

Konsequenz: Wie in der ersten Sitzung angeklungen, können Organisationen irritiert werden, was das genannte Beispiel plausibilisiert. Wenn man diese Irritation jedoch "nur" abstrakter auf einer höheren Komplexitätsstufe formuliert (wie oben versucht), so könnte man doch auch sagen, dass ein Funktionssystem ein anderes irritiert? Ich stelle diese Frage zur Diskussion, da ich selbst dahingehend unsicher bin.

Hypothese: Irritation sind primär auf einer zeitlichen Dimension zu verorten. Die oben indirekt angedeutete strukturelle Kopplung zwischen Recht und Ökomonie ist eine auf der Sozial- und/oder Sachdimension. (Vermutlich schreibt Luhmann nicht umsonst zum einen, dass er "strukturelle Kopplungen voraussetz[t][...]" (1997: 789); und zum anderen behandelt er das Thema "strukturelle Kopplung" im davorliegenden Kapitel (1997: 776 ff.).

Ich freue mich auf weitere Diskussionen.

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Leitfrage: Wer oder was irritiert wen oder was wie und zu welchem Ende (wozu)?

-----------Literatur
Luhmann, Niklas (1997): Irritationen und Werte. In: Ders.: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 789–801.

Mölders, Marc (2013/14): Systeme da abholen, wo sie stehen? Systemangepasste Kritik, Aufklärung und Steuerung. Rezension zu: Hagendorff, Thilo, Sozialkritik und soziale Steuerung. Zur Methodologie systemangepasster Aufklärung. In: Soziale Systeme 19 (1), S. 198–203.

Mölders, Marc (2015): Der Wachhund und die Schlummertaste. Zur Rolle des Investigativ-Journalismus in Konstitutionalisierungsprozessen. In: Zeitschrift für Rechtssoziologie 35 (1), S. 49–67.

Mölders, Marc (2016): Irritationsgestaltung. Seminare im WiSe 2014_15 und SoSe 2016, ekVV-Belegnummern: 300168 bzw. 300148. Universität Bielefeld. Online verfügbar unter https://ekvv.uni-bielefeld.de/kvv_publ/publ/vd?id=37979814, zuletzt geprüft am 08.04.2016.