Samstag, 14. Mai 2016

Wie sind Irritation durch Spiele möglich? (zu Hutter 2015: 9-33, 235-251)


Zusammenfassung der Textausschnitte:
Hutter nutzt die Metapher des Spiels um das Handeln von Akteuren in den verschiedenen gesellschaftlichen, je autonomen Wertsphären, Feldern oder Funktionssystemen zu beschreiben - konkret Kunst oder Wirtschaft (14). Das Handeln oder die Spiele erfolgen nach Spielregeln und Spielzügen, die ähnlich den Wertsphären abgeschlossene und begrenzte Ordnungen darstellen (18 f.).

Zur Leitfrage des Seminars Mölders (2016) - zunächst (a) zum 'Wer' irritiert. Es scheinen die "Spielzüge" und die entsprechend handelnden Akteure zu sein: "[I]n ihrer Verschiedenheit geraten kommerzielle Spielzüge und kulturelle Spielzüge ständig aneinander und ineinander" (32); (b) zum  'Wie': Neben dem genannten Aneinandergeraten sind es "Übertragungen[en]" oder "Translation[en]" hervorgerufen durch "Erfindung" und (Kapital-)"Akkumulation" (235); (c) zum 'Wozu': Diese Übertragungen (von Produktionen der kommerziellen Welten) führen zu "Variationen der Wertschöpfung" (236), womit weitere Erfindungen gemeint sein könnten - und zwar in der Wertsphäre, in die übertragen wurde, wie beispielsweise neue Bilderfindungen (237). Stabil werden die Veränderungen, wenn Vereinbarkeit erreicht ist (31).

Sechs Überlegungen zum Begriff des Spiels:
Was erklärt die Metapher des Spiels - oder welche zusätzliche theoretische Erklärungsleistung bringt die Beobachtung mittels Spielzügen (beispielsweise gegenüber den Theorien von Bourdieu und Luhmann)?
  1. Eine "intuitive Plausibilität" (17) ist nicht unbedingt ein theoretisches Argument. Möglicherweise könnte man statt "Wirtschaftsspiel" nur von "Wirtschaften" reden, wie es Hutter selbst schreibt (28). Statt "[i]m Musikspiel" wäre 'in der Musik' genauso aussagekräftig. Oder "Irritationsgeschichten"  (32) könnten empirische Beispiele von Irritation sein.
  2. Dass Spiele Regeln erfordern, implizieren beispielsweise die Codes der Funktionssysteme bei Luhmann; eine Verbindung von Regeln zu sozialen Systemen kann man bei Kapitanova (2013) nachlesen. Im Spiel vergnügliches und ernstes Verhalten zu sehen, lässt sich durch den Begriff sicherlich leichter beobachten (18 ff.) - aber wäre das aus einer 'Interaktion' nicht genauso ableitbar? Im Gegenteil - Spiele lassen leicht auf Akteure schließen, die motivational im Kontext von Regeln handeln; aber was ist mit der Perspektive von Kommunikationen? Werden diese Sicht auf und mit Kommunikationen nicht durch den Begriff des Spiels leichtfertig ausgeschlossen? Warum nicht Sinn als Kontext statt Regeln? 
  3. Und könnte statt "ernst" oder "ästhetisch" bei Hutter nicht Luhmanns Unterscheidung "Verwunderung / Bewunderung" (32) vollständiger die Phänomene erfassen? (Warum heißt die zugehörige Sitzung wohl "Irritation, Ver- udn Bewunderung" ;-).
  4. Und dass Finanzmärkte nicht nur "Glücksspiel[e]" des "Kasino-Kapitalismus" sind (28), können seriöse Unternehmer, die ihr Kapital durch Aktienverkauf für Investitionen in ihr Unternehmer nutzen, vermutlich bestätigen. 
  5. Spieltheorie aus der Wirtschaft (20) ist ein ungenauer, historisch bedingter Begriff, denn Gefangene im Gefangenendilemma als "Spieler" zu bezeichnen, erscheint möglicherweise ein wenig anachronistisch. Axelrod spricht in einem ähnlichen Zusammenhang stattdessen neutraler davon, dass "eine Person bei einer fortlaufenden Interaktion mit einer anderen Person kooperier[t]"  (Axelrod 2005: S. VII). 
  6. (a) Möglicherweise erklärt Luhmanns Unterscheidung von Handeln und Erleben mit den symbolisch generalisierten Medien (Luhmann 1997: 336), warum Hutter den "erkennbaren Kontrast der ästhetischen und der politischen Formen schwer[...]" unterscheiden kann (250): Denn Luhmanns Medium der Macht schließt bei der Alter/Ego-Kommunikation mit Handeln/Handeln anschließt - und nicht mit Erleben (Luhmann 1997: 355 ff.); aber Ästhetik ist intuitiv eher im Erleben als im Handeln verortet. (b) Mit Hilfe dieser Medientheorie Luhmanns braucht man möglicherweise nicht von der "Wertlogik des ästhetischen Erlebens" (26, Hervorh. L.E.) zu sprechen, denn nach Luhmann 'beginnt' die Kommunikation durch das Kunstmedium im Handeln von Alter (der Künstler malt) und schließt Ego an, das Publikum erlebt (sic!) (abstrakter dazu Luhmann 1997: 353 f.). 
Im Ergebnis scheint die Spielemetapher (zumindest in den untersuchten Textausschnitten von Hutter 2015) wenig zusätzliche theoretische Erklärungsleistung zu bieten, sofern man das Potential bei Luhmann ausschöpft. Die Spielemetapher verbessert sicherlich das Leseerlebnis, das einfachere Verständnis der Irritation zwischen verschiedenen Wertsphären und somit einen häufigeren Anschluss an Leser des Textes aufgrund des intuitiven Charakters des Spiels (17) und entsprechender Spielzüge.


---------Literatur

  • Axelrod, Robert (2005): Die Evolution der Kooperation. 6. Aufl. München: Oldenbourg.
  • Kapitanova, Janeta (2013): Regeln in sozialen Systemen. Wiesbaden: Springer VS
  • Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. 2 Bände. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Mölders, Marc (2016): Irritationsgestaltung. Seminare im WiSe 2014_15 und SoSe 2016, ekVV-Belegnummern: 300168 bzw. 300148. Universität Bielefeld. Online verfügbar unter https://ekvv.uni-bielefeld.de/kvv_publ/publ/vd?id=37979814, zuletzt geprüft am 08.04.2016.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen