Donnerstag, 30. Dezember 2010

Exzerpt incl. Diskussion von: Sys­tem­theo­rie und Pro­test­be­we­gun­gen (Interview m. Ni­klas Luh­mann)

Der vorliegende Blog-Post versucht Luhmanns Text über "Sys­tem­theo­rie und Pro­test­be­we­gun­gen" (Luhmann 1996) zu exzerpieren, ein wenig zu ergänzen und ggf. kurz kritisch zu kommentieren bzw. diskutieren. Das wird durch "(Diskussion:)" gekennzeichnet.

Hintergrund ist das am 08-Jan-2011 dazu stattfindende Kolloquium auf http://www.gesellschaftundkontingenz.de/agenda/.  Dazu existieren als ergänzende Lektüren folgende beide Vorschläge:  
  1. Zu Protestbewegungen im Sinne Luhmanns. Die Protestbewegung "Attac" als soziologisches Anwendungsbeispiel. Ein Essay  
  2. Falscher Alarm? Wikileaks und die Politik
1) Abstract (Exzerpt des Exzerpts)
Für Luhmann sind soziale Bewegungen (SB) autopoietische, also soziale Systeme (SS). Er favorisiert  aber den Begriff Protestbewegungen (PB) und bringt sie in die Nähe von Konflikt- oder Immunsystemen. PBen besitzen vermutlich keinen Code in der Stringenz wie in einem Funktionssystem (FS). PBen mahnen Verantwortung bei ihren Adressaten an.



2) Wie wird exzerpiert? Konfliktsystem, Immunsystem

Die Regeln und Vorschriften bzw. Brückenhypothesen nach denen entsprechende Ausschnitte im Text selektiert werden - also nach Luhmann, welche Seite der Form bezeichnet (angezeigt bzw. indicated) wird - sind im wesentlichen Begriffe und Aussagen, die funktionalen Erklärungen sozialer Bewegungen in Bezug auf die  Einordnung in Luhmanns Theorie darstellen(1). Bspw. fragt Hellmann: "Sie haben mit Konfliktsystemen und Immunsystemen angefangen" (175). Der weitere allgemeinen Teil der Frage nach "Codes und Programmen" wird nicht mit in das Exzerpt aufgenommen, da es sich eher um einen Teil der Theorie sozialer Systeme handelt, also sich nicht konkret sich auf soziale Bewegungen bezieht.

3) die Kapitel "Soziale Bewegungen als autopoietische Systeme" und "Commitments"


3.1) soziale Bewegungen (SBen) sind autopoietische (soziale) Systeme (SS).

Luhmann bejaht die Frage, ob es "sich bei sozialen Bewegungen um autopoietische Systeme handelt" (175 f.), "in Abgrenzung von irgendwelchen modischen Themenkarrieren, denen ihre Anhänger folgen" (176).


3.2) mit dem Begriff Protestbewegung (PB) kommt mehr in den Blick als mit SB. PB sind von modischen Themenkarrieren abgrenzbar.

Er benutzt den Begriff „Protestbewegungen“ (Luhmann 1984, 847) statt „sozialen Bewegungen“, da der „übliche Sammelbegriff der Soziologie „soziale Bewegung“ […] nicht viel her [gibt]“ (Luhmann 1987, 543); denn "einen wichtigen Block von Phänomenen kriegt man heraus, wenn man von Protestbewegungen spricht" (176). "Wenn man sich an dem Protestbegriff orientiert, kann man [...] sozialen Einheiten, d.h. Kommunikationsmengen herausgreifen, die sich selber von der Umwelt abgrenzen, indem sie sich bestimmte Protestthemen herausgreifen und diese kommunikativ behandeln, [...] als zugehörig oder nicht erkennbar ist. [...] Das Phänomen würde ich [Luhmann, L.E.] als autopoietisch bzeichnen, in Abgrenzung von irgendwelchen modischen Themenkarrieren, denen ihre Anhänger folgen"(176).


3.3) Das SS PB besitzt keinen Code.  PB ist kein Funktionssystems (FS). Statt dessen erfolgt die operative Schließung durch das Protestthema. (Diskussion:) Es bietet sich ein Vergleich mit dem Code Macht in der Politik an. Ein möglicher Negativcode für Protest wäre "Konformität" oder "Zustimmung"; ähnlich wie bei der Kommunikation die Annahme. (Exzerpt): Eine Alternativdifferenz wäre "Wir oder die Gesellschaft". Ein Themenwechsel ist empirisch selten, auch wenn es sogenannte biographische commitments gibt. PBen fordern größere persönliche Bindungen, als z.B. Geld in der Wirtschaft. (Diskussion:) fordern das nicht auch Organisationen?
Luhmanns Einschätzung nach liegt bei sozialen Bewegungen kein Code vor. In Bezug auf Spencer Browns Formbegriff sagt Luhmann: "Ein Protest hat sozusagen die Außenseite, nicht zu protestieren oder die Gesellschaft so laufen zu lassen, wie sie läuft [...]. Dieser "unmarked space" [hat] nicht die Form eines Negativwertes (176 f.)". 
   "[W]ie gelingt dann die Schließung[...]? [...] [Durch] das Protestthema [...], also die Form des Protestes" (177).
    Diskussionsexkurs: Wenn Luhmann der PB den Code abspricht und somit eine PB kein FS ist, müsste man in Analogie zum Code Macht des FSs Politik fragen, ob nicht bei der negativen Seite des Codes (=Machtunterlegeneheit) (vgl. Luhmann/Kieserling 2000) "genauso die Gesellschaft weiterläuft, wie es bei einem wie auch immer bezeichneten Gegenwert von Protest wie z.B. "Konformität" oder "Zustimmung" wäre. Dieser mögliche Negativcode "Konformität" für Protest scheint funktional äquivalent zu der Annahme (Zustimmung, "dem Ja") beim Anschluss einer Kommunikation zu sein. Der Protest entspräche dann der Ablehnung (dem "Nein) bei der Kommunikations-Anschluss-Operation. Ein qualitativer Unterschied bei der Machtunterlegenheit im Vergleich zur einer "Konformität" liegt offenbar auch nicht in der latenten Struktur (der Kommunikationen). Man stimmt durch Nicht-Protest genauso zu ,wie man durch Nicht-Macht-Haben unterlegen ist. Im Falle der Politik kann man statt dessen zur Wahl gehen, ähnlich wie man bei den PBen mit protestieren  kann (z.B. auf der Straße demonstrieren). 
  Zurück zum Exzerpt: Eine Alternativdifferenz wäre ""Wir oder die Gesellschaft", "Wir" und das, was andernfalls geschehen würde" (178). Zusätzlich hält Hellmann "Betroffenheit und Entscheidung" als "Einheit des Protestes" für möglich (180).
  Hellmann fragt noch ein mal nach, ob nicht "der Protest das entscheidende Merkmal einer Protestbewegung ist und nicht das Thema" (178), worauf Luhmann zwar mMn zu Recht kontert, dass "das die Kosequenz hätte, daß es eine Protestbewegunge gibt, die ihre Themen auswechselt". (Diskussionexkurs:) Er  unterstellt jedoch unterschwellig, dass dies empirisch eher selten vorkommt. Die PB Attac ist hier zwar ein empirisches Datum, bei der dieses Auswechseln des Protestthemas vorkommt: zuerst Finanzen und  Tobinsteuer, dann Agenda 2010, jetzt Themen, wie Abschaltung von Atomkraftwerken, Genmais  usw. thematisiert. An zwei Stellen im Text konzediert Luhmann, dass dieser Protestthemenwechsel vorkommt: A)  "Es gibt diese Art von Generalorientierung am Protest mit den zeit- und generationsbedingten Möglichkeiten, die Themen auszuwechseln" (178). Dies hat aber nach Luhmanns "Eindruck nicht die Stringenz von Codierung und Programmierung, sondern es ist eher das Sammelbecken für Unzufriedenheiten oder auch, wenn man es objektiver formulieren will, für Schwachstellen und Negativfolgen der Typik moderner Gesellschaft" (178). B) Man "setzt einfach, wenn ein Thema müde wird, auf ein anderes. [...] [D]ass dieselben Personen hier auftauchen oder später dort auftauchen, dass es gleichsame biographische commitments in der Richtung gibt" (180). Die "Orientierung am Protest, egal welches Thema" (180), reicht für Luhmann vermutlich nicht aus,  "von sozialer Bewegung zu sprechen" (180). "[D]ie sozialen Bewegungen [fordern] größere persönliche Bereitschaften oder Bindungen [...], auch Loyalitäten in gewisser Weise, die ja in anderen Systemen gar nicht üblich sind: Was bindet mich, mein Geld diesen oder jenen Zweck auszugeben? Was bindet mich, wenn ich meine Stimme für die eine Partie abgebe, das nächste Mal nicht anders zu wählen?". (Diskussion) Es stellt sich trotzdem die Frage, ob nicht Organisation - wenn vielleicht auch in abgeschwächter Form, ähnlich Loyalitäten fordern.

3.4) Protestkommunikation mahnt an seine Adressaten Verantwortung an 
Luhmann meine, "dass es sich bie Protest um Kommunikationen handelt, die "an andere" adressiert sind und deren Verantwortung anmahnen" (179). "Die ökologischen Bewegungen scheinen sich schon jetzt von der Politikadresse abzuwenden, sie gehen sogar vor die Fabriktore [...;] frontal auf die Industrie zu. Dann steuert aber das Thema Ökologie die Suche nach Gegnern, nach Punkten, wo die Unzufriedenheit konkret werden kann" (179). 
  Diskussion: Im Falle von Greenpeace ist das empirisch nachvollziehbar, siehe Brent Spa, was mWn icht nur von Shell sondern auch von Esso subventioniert wurde, man aber den Gegner Shell als einzigen Adressat bewusst ließ (so Tilo xxx in einem Interview im WDR 2010, Referenz folgt). Vielleicht erklärt gerade das (ähnlich wie vielleicht Terre des Hommes) den punktuellen Erfolg im Gegensatz zu den global agierenden PB Attac, die die Finanzkrise zwar vorhergesehen, aber im Grunde keine Wirkung erzielt haben.

3) Kapitel "Angst und Mobilisierung"




Fussnoten:
  • (1) Alle Angaben in Klammer sind Seitenangaben; kursive Hervorhebungen durch mich. Falls erforderlich wird auch auf weitere Literatur verwiesen.


Literatur: 
  • Luh­mann, Ni­klas 1996. Sys­tem­theo­rie und Pro­test­be­we­gun­gen. Ein In­ter­view. In: Pro­test: Sys­tem­theo­rie und so­zia­le Be­we­gun­gen. Hrsg. von Kai-​Uwe Hell­mann. Frank­furt/Main: Suhr­kamp, S.​175-200. 
  • Luhmann, Niklas 1984. Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (stw666), ISBN-10: 3-518-28266-2.
  • Luhmann, Niklas; Kieserling, André (Hrsg.) 2000. Die Politik der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, ISBN: 978-3-518-29182-5, 3-518-29182-3.



Thema "Karikaturen mit dem Propheten Mohammed". Terror in Dänemark.

Der folgende Essay versucht den Text "Thema Terror in Dänemark" (dpa/jobr/mikö 2010) mit Hilfe der Gesesllschaftstheorie sozialer Systeme von Niklas Luhmann zu beleuchten und möglicherweise zu verstehen.; vielleicht daraus sogar Handlungen ableiten zu können. Ich beziehe mich bei dem Versuch auf den Blog Ein Versuch: "praktische" soziale Systeme nach Niklas Luhmann.

Dazu muss eine Vorauswahl aus dem Text getroffen(1) werden. Die implizite Brückenhypothese dieser Auswahl besagt, dass ich versucht habe, wenn auch holzschnittartig die wesentlichen Informationen der Sozialdimension aus dem Text zu exzerpieren. Wesentliche Begriffe markiere ich kursiv:
  1. "Bedrohung", "dänischen Behörden [...] Terroranschlag [...] verhindert"
  2. "[D]er Karikaturist Kurt Westergaard, der mit seinen Mohammed-Zeichnungen den Hass der Islamisten auf sich gezogen hatte, mahnte Beharrlichkeit an [...]"
  3. "Bei einem Selbstmordanschlag [...] in [...] Stockholm war nur der Attentäter gestorben[...]. Er hatte seine Tat unter anderem mit einer Mohammed-Karikatur des schwedischen Zeichners Lars Vilks sowie Schwedens Teilnahme am Afghanistan-Krieg begründet.
  4. "Trotz der konkreten Bedrohung hat der dänische Kronprinz Frederik [...] das Verlagsgebäude der Zeitung Jyllands-Posten besucht, um dort einen Sportlerpreis zu verleihen", also eine symbolische Geste.
  5. Es sollte eine weitere Referenz hinzugezogen werden (Bomsdorf/Vilks 2010, 61): Lars Vilks "wollte [mit seiner Karikatur, L.E.] darauf aufmerksam machen, dass es so viele Tabus gibt im Zusammenhang mit dem Islam. Ich [Vilks, L.E.] wollte darauf einwirken, dass der Umgang mit der Religion - und jeder Religion wohlgemerkt - toleranter und offener wird. Der Monty-Python-Film "Das Leben des Brian" macht sich lustig über das Christentum, und vor 30 Jahren, als er in die Kinos kam, was das eine Provokation".
Ein paar Arbeitshypothesen:
  1. Bei den Karikaturen handelt es sich um Symbole
  2. Es geht um Terror-Kommunikation (vgl. Japp 2006).
  3. Die Behörden, also der Staat (bei Luhmann: Verwaltung, vgl. Luhmann/Kieserling 2010, 151ff.) agieren innerhalb des politischen Systems mit der ihnen zur Verfügung stehenden Drohmacht bzw. setzen diese ein (in dem Fall sicherlich im Sinne der Bevölkerung).
  4. Die Kommunikation der involvierten radikalen Islamisten operiert im Religionssystem (vgl. Luhmann/Kieserling 2000). 
  5. Die Karikatur entstammt dem Funktionssyste Kunst (handelnd),  damit es im Funktionssysetem Massenmedien erlebt wird (vgl. bzgl. Handeln/Erleben symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien Luhmann 1997, 336; bzgl. Kunst Luhmann 1997b, bgzl. Massenmedien Luhmann 2004 ).

Abduktionen/Hinweise bei Luhmann et al:
  • Zu Religionssystem finden wir etwas bei Luhmann, der das Folgende im Kontext der "Durchsetzung der christlichen Religion" (Luhmann/Kieserling 2000, 337) formuliert: "In die Beobachtung erster Ordnung konnte so eingeschlossen werden, daß alle Beobachter gleichsinnig beobachten. Das wieder machte es möglich, eine das offenbarte Wissen symbolisierende Kultur aufzubauen. Das ging zusammen mit [...] kirchenaufsichtlichen Kontrollen [...]. Immer aber lag die symbolische Qualität  darin, daß sie  das waren [kursiv i. Ori, L.E.], was sie erscheinen ließen [...] Was so als "Sein" erschien, enthielt zugleich einen normativen Anspruch" (Luhmann/Kieserling 2000, 337).
  • zu 1: zwei (soziale oder psychische) Systeme werden durch Symbolisierung in einen sinnhaften Zusammenhang gebracht.
  • Attribution zu Symbolen
  • usw. [folgt vielleicht mal]

Erkenntnis/Prognostik (Thesen!):
  • Es sind also offenbar mind. 2 Kommunikationen(3)  unterschiedlichen Typs: die religiöse, (Terrorist) die künstlerische (Vilks) und die politische (Behörden)., bei deren "Aufeinandertreffen"  (zumindestens  die Differenz relegiös/künstlerisch) es offenbar zum Konflikt kommt. (Wir klammern die massenmediale aus). Bei der einen geht es um die autopoietische Kommunikation des Religionssystems, in welchem die inkludierten Bewusstseinssysteme die Karikaturen in ieser Form als verletztend empfinden. Dies wird  im Kontext der Luhmannschen Theorie nun auch verständlich (wenn man Luhmann/Kieserling 2000 weiter studiert). Eine (marginale Kommunikation) des Religionssystem reagiert entsprechend mit Terror. Der Konflikt wird im Religionssystem nicht vollständig verarbeitet. 
  • Die Kommunikation aus dem Kunstsystem hat offenbar anders das Symbol zugeschrieben (Atribution) und Kommunikationen aus anderen Systemen bzw. die Zuschreibung zu entssrechenden Symbolen nicht berücksichtigt. In der Systemlogik beider Systeme Religion und Kunst tun (können?) sie es normalerweise auch nicht.
  • Somit ist der Konflikt mit Hilfe Luhmanns leicht erklärt. Noch spannend wird es bei dem impliziten Hypothesen Vilks (alles Bomsdorf/Vilks 2010, 61f.): "Es handelt sich um einen globalen Konflikt" - das ist evident - und: "Er [der Konflikt, L.E.] wird wohl nie vollständig zu lösen sein". Das sehe ich mit Erlaub anders. Hier muss man Luhmann zu Rate ziehen: Komplexitätssteigerung durch Komplexitätsreduktion. In beiden Systemen muss der Konflikt besser komplexitätssteigernd verarbeitet werden können. Dazu muss Komplexität reduziert werden, das tut Vilks: "Toleranz ist wichtig". Hier erfolgt Zuschreibung von Handlungsvorschlägen in dem breiten Wertbegriff Toleranz (was immer das sein soll und wie es funktionieren soll). Unterschwellig soll scheinbar die Religion die Karikatur tolerieren? Warum kann die Kunst nicht die Religion tolerieren? Müssen nicht beiden Komunikationen die Komplexität reduzieren? - sich gegenseitig tolerieren? Toleranz braucht nicht mit einer Mohammed-Karikatur demonstriert werden, die in der provokanten Form als Futter für die westlichen Massenmedien (ein Funktionssystem bei Luhmann, vgl. 2004) dient, was in der Systemlogik des massenmedialen Funktionssystems ja auch sein muss (ob es auch anderes geht, soll hier nicht diskutiert werden). Das (er)kennt die Kommunikation im Religionssystem aber auch nicht und reagiert mit Terror - zum Schutz der eigenen Autopoiesis? Ohne Frage - wir blenden hier in der Argumentation die unzähligen toleranten Islamgläubige aus (was man aber nie vergessen darf, dass es sie zum Glück zahlreich gibt. Ich denke hier nur an den selbstverständlichen Umgang zwischen Arbeitskollegen unterschiedlicher Nationalitäten, Alltägliches, was in den Massenmedien nicht auftaucht (und es wg. der Systemlogik auch nicht tut (ist das hier eine Ausnahme?))).
  • Alles in allem scheint (nicht nur) Wulfs "Integration" und "Aussöhnungsprozess" und "nur durch Versöhnung kann eine neue Basis des Vertrauens(2) entstehen."(Wulff 2010, 3f.) in die richtige Richtung zu zeigen. Das wird nun auch mit Hilfe Luhmanns Theorie plausibel. Aber natürlich - das wussten  viele  Menschen auch vor und ohne Luhmann schon. Aber es ist doch wissenschaftlich angenehm zu sehen, dass es plausibel erklärt werden kann. Was folgt? Die harte Arbeit der Sozialarbeit, der sozialen Kommunikation im Alltäglichen, das tägliche Bemühen im Miteinander der Verschiedenen Kulturen im alltäglichen Leben. Wie scheinbar problemlos das geht demonstrieren nicht nur Mesut Özil (türkische Abstammung) oder Lukas Podolsky (polnische Abstammung) in der deutschen Fussballnationalmannschaft (wenn auch aus anderen einfacheren Gründen ( Funktionssystem Sport/Leistung Code)). Offenbar wirken hier symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien (vgl. Luhmann 1997, 332ff.), die einen neuen Blog-Spot notwendig erscheinen lassen. 
  • Es ist offenbar erforderlich zumindest sich in den Text  von Japp (2006) einzuarbeiten.
  • Die Beharrlichkeit müsste noch beleuchtet werden.
  • Interessant scheint der oben zitierte "normative[n] Anspruch" in Zusammenhang mit - oder in Differenz zu -  der gewünschten Toleranz zu sein. Eine brisante - wohl auch konfliktive - Situation.
Es scheint mit der Gesellschaftstheorie sozialer Systeme von Luhmann offenbar alles recht plausibel zu sein, oder wo sind die Denkfehler? Aber Handeln muss ich schon vermutlich selbst :-). Und wie gesagt - "gewusst " und danach handelnd tun es viele Menschen auch ohne die Theorie. So what?

MfG, Lutz Ebeling


Fussnoten
  • (1) (warum so und nicht anders ausgewählt wurde, wäre einen eigenen Blog-Post wert)
  • (2) bzgl "Vertrauen" siehe Luhmann 2010b [1968]
  • (3) Kommunikation im Sinne Luhmanns.
Literatur:
  • Bomsdorf, Clemens; Vilks, Lars 2010. Es gibt so viele Tabus. Der schwedische Künstler Lars Vilks verteidigt seine umstrittenen Mohammed -Karikaturen und plädiert für eine Modernisiserung des Islam. (Ein Interview mit Lars Vilks, geführt von Clemens Bomsdorf). Berlin: Focus, Ausgabe 52/2010, ISSN 0943-7576, 60-61.
  • dpa/jobr/mikö 2010. Terror in Dänemark - Sie wollten so viele Menschen wie möglich töten. München, Sueddeutsche.de GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH, 30.12.2010, http://www.sueddeutsche.de/politik/terror-in-daenemark-sie-wollten-so-viele-menschen-wie-moeglich-toeten-1.1041232, [30-Dez-2010].
  • Japp, Klaus P. 2006. Terrorismus als Konfliktsystem. In: Soziale Systeme, 12, H. 1, 6-32, ISSN 0948-423X.
  • Luhmann, Niklas 1997. Die Gesellschaft der Gesellschaft. Erste Auflage 1998, 2 Bände, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, ISBN: 3-518-28960-8.
  • Luhmann, Niklas 1997b. Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, ISBN: 3-518-28903-9.
  • Luhmann, Niklas; Kieserling, André (Hrsg.) 2000. Die Religion der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, ISBN: 3-518-29181-5.
  • Luhmann, Niklas 2004 [1995]. Die Realität der Massenmedien. 3. Aufl., Wiesbaden: VS, ISBN 3-531-42841-1. 
  • Luhmann, Niklas; Kieserling, André (Hrsg.) 2010. Politische Soziologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, ISBN 978-3-518-58541-2.
  • Luhmann, Niklas 2010b [1968]. Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. 4. Aufl, Stuttgart: Lucius & Lucius; UTB 2185, ISBN: 3-8252-2185-7, 3-8282-0148-2.
  • Wulff, Christian 2010;  Bundespräsident Christian Wulff spricht im türkischen Parlament, Berlin: MiGazin (Migration in Germany), http://www.migazin.de/2010/10/20/bundesprasident-christian-wulff-vor-der-grosen-nationalversammlung-in-der-turkei/, [30-Dez-2010]. 

Mittwoch, 29. Dezember 2010

Ein Versuch: "praktische" soziale Systeme nach Niklas Luhmann

Im Rahmen der Gesellschaftstheorie sozialer Systeme des Soziologen Niklas Luhmann soll versucht werden auch außerhalb der wissenschaftlichen Kommunikation praktischen Anschluss an die Theorie zu finden. Konkret erproben wir das Verständnis und die Anwendbarkeit dieser soziologischen Systemtheorie(1).

Um dies zu erreichen, könnten wir "alltägliche" auf Themen bezogene Texte oder Textausschnitte nutzen  wie z.B. aus den Massenmedien. Aber auch Texte aus anderen Systemen wie bspw. der Wissenschaft oder gar Selbsterstelltes liesse sich verwenden. Ein Beispiel ist das Thema "Stuttgart 21" - kurz S21. 

Es wird sodann versucht die dort inhaltlich publizierten Informationen bzw. beschriebenen (empirischen) Phänomene, aber gerade auch alltägliche Situationen zusammen mit ihren oft impliziten Hypothesen in den Kontext der Theorie einzuordnen; und dabei zu prüfen, ob die Theorie den sozialen Aspekt erklären kann: z.B. dass S21 für das massenmediale Funktionssystem ein kurzfristiges Thema ist(2), aber auch dass das politische System seine autopoietische Machtkommunikation ohne große Irritation fortsetzen wird (man denke an die anstehenden Landtagswahlen). 

Wie dieses "Einordnen" der textuell beschriebenen sozialen Vorkommnisse methodisch erfolgen soll, muss momentan ein wenig offen gelassen werden(3). Das hier vorgeschlagene Vorgehen erinnert an Spencer-Browns Methode von Befehl und  anschließender Betrachtung dessen, wohin wir damit gelangt sind  (vgl. Lau 2008, 23; i. Ori. "injunction" und "description" , vgl. Spencer Brown 1971, 77) Durch diese Heransgehensweise lassen sich außer der Erklärungskraft der Theorie (oder dem Gegenteil - keine Erklärungskraft) zusätzlich vielleicht abduktiv prognostische Thesen formulieren: z.B. der Bahnhof wird gebaut; Legitimation durch Verfahren ist vorhanden(4) (vgl. Luhmann 2005b). 

Der Kontext bzw. die Randbedingungen des hier vorgeschlagenen "praktischen" Versuchs sollen dabei die sozialen Systeme sein, so wie sie Luhmann in seiner Theorie formuliert hat. Diese Theorie muss nicht notwendigerweise "richtig" sein, was sich vielleicht bei den Anwendungsbeispielen zeigen wird. Geboten ist sicherlich, die Begrifflichkeiten Luhmanns zu nutzen, und sie nicht in die Alltagssprache zu transformieren., sondern die Vokabeln zu lernen (s.u.). Desgleichen wäre es wünschenswert sich an wissenschaftliche Gepflogenheiten (Soziologie ist eine Wissenschaft) zu halten: Kritik ist also willkommen. Es geht nicht um literarisch emotionale Semantiken, sondern um die Kraft besserer Argumente. Dass abduktive Erklärungen eine Theorie nicht verifizieren, ganz im Gegensatz zu falsifizierbaren Hypothesen á la Popper, steht außer Frage. Die Theoriearchitektur Luhmanns sollte andererseits nicht Thema des Blogs sein. Es geht erst mal "nur" um Plausibilität. Ein späterer Ausbau dieses möglichen Desiderats in Richtung empirisch falsifizierbarer Brückenhyopothesen ist nicht ausgeschlossen. Genauso wenig ist gesagt, dass nicht eine Handlungstheorie zu "besseren" Ergebnissen als eine Systemtheorie führen kann, auch wenn meiner Meinung die Unterschiede nicht so groß sind, wie sie in der wissenschaftlichen Literatur dargestellt sind (aber auch das in einem andern Blog-Post).


Fussnoten:
  • (1) empfehlenswert für den Einstieg in die Theorie sind: Schneider (2005) und Luhmann/Baecker (2002 und 2005).
  • (2) natürlich nicht für die direkt Beteiligten. 
  • (3) evtl. bieten sich Anleihen bei Durkheim an.
  • (4) übrigens eine progmostische These, die ich mit einer - wenn auch sehr holzschnittartigen - kurzen  Begründung Luhmann s Theorie nutzend bereits vor(sic!) Beginn der Schlichtungsgespräche in die "Luhmann-Diskussions-Mailingliste" (2009) gepostet habe (listserv.dfn.de-Luhmann in Stuttgart) und die eingetroffen ist, sich (statistisch überhaupt nicht signifikant) bewährt hat. Vgl. dazu auch Rucht (2010).
Literatur:
  • Lau, Felix 2008 [2005]. Die Form der Paradoxie. Eine Einführung in die Mathematik und Philosophie der "Laws of form" von George Spencer Brown. 3. Aufl., Heidelberg: Carl-Auer-Verl., ISBN: 978-3-89670-352-1, 3-89670-352-8.
  • Luhmann-Diskussions-Mailingliste 2009. Diskussionsforum zur soziologischen Systemtheorie Niklas Luhmanns. Listserver LUHMANN@listserv.dfn.de, Archiv http://www.listserv.dfn.de/archives/luhmann.html [08-Nov-2009]. 
  • Luhmann, Niklas; Baecker, Dirk (Hrsg.) 2002. Einführung in die Systemtheorie. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme, ISBN: 3896702920.
  • Luhmann, Niklas; Baecker, Dirk (Hrsg.) 2005. Einführung in die Theorie der Gesellschaft. Heidelberg: Carl-Auer, ISBN 978-389670-477-1, 3-89670-477-X. 
  • Luhmann, Niklas 2005b [1969]. Legitimation durch Verfahren. 6. Auflage, Frankfurt a. M.: Suhrkamp [Neuwied am Rhein [u.a.]: Luchterhand], ISBN: 3-518-28043-0 [ISBN: 3-472-72566-4].
  • Rucht, Dieter 2010. Symmetrie der Oberfläche. Legitimation durch Verfahren oder Neutralisierung von Kritik? Ein Rückblick auf das Demokratie-Ereignis des Jahres - die Stuttgarter Schlichtung". Frankfurt: derFreitag, ISSN 0945-2095; http://www.freitag.de/politik/1051-xxx-kommt-noch-xxx, [29-Dez-2010].
  • Schneider, Wolfgang Ludwig 2005b [2002]. Kommunikation als Operation sozialer Systeme. In: Grundlagen der soziologischen Theorie. Band 2: Garfinkel - RC - Habermas - Luhmann. 2. Auflage, Wiesbaden: VS, ISBN-10: 353133557X, ISBN-13: 978-3531335575, 250-391.
  • Spencer Brown, George 1971 [1969]. Laws of form. 2. Aufl., London: Allen and Unwin.