Samstag, 28. Mai 2016

Wie sind Irritationen durch Intervention in Schnittstellen möglich?

Ein Kommentar zum Textausschnitt von Baecker 2005: 254-278 mit Hilfe der Leitfrage von Mölders (2016):

1) Wer oder was irritiert wen oder was  (Mölders 2016)?
Baecker diskutiert die Intervention in Verhältnisse zwischen Kommunikation und Bewusstsein (273), d.h. Kommunikation irritiert Bewusstsein und vice versa (261, 268). Im Rahmen einer Interaktion sind dies zwei Perspektiven: Zum einen ist es die Interpretation einer Kommunikation, beispielsweise ein Thema (258); zum anderen ist es das Handeln und Erleben des Individuums durch sein Bewusstsein (261).

2) Wie wird irritiert und wozu (Mölders 2016)?
Irritation erfolgt durch Intervention in die Schnittstellen zwischen Kommunikation und Bewusstsein (276). Intervention ist definiert als "Konflikt" im Hinblick auf die "Schnittstelle" (276). D.h. es wird ein Konflikt reflektiert, um die Schnittstellen zu variieren (276). Hinzu kommt, dass die Schnittstelle ein bestimmtes Design besitzt. Dieses ist definiert als eine "Form" im Hinblick auf ihre "Funktion" (265). Dadurch wird der Konflikt im Hinblick auf die Form dieses Design verarbeitet. Die Schnittstelle kann bei dieser Intervention in ihrer Funktion so variiert oder neu gestaltet werden, dass der Konflikt als Form weniger auffällt. Baecker nennt ein Beispiel, in dem Verstöße gegen die Verkehrsordnung gefilmt und bei der Polizei zur Kenntnis gebracht werden (277). Hier werden somit Konflikte markiert (gefilmt) und in der Schnittstelle (Design Recht/Polizei) als eine Funktion (Verstoß gegen gesetztes Recht) verarbeitet.

3) Zwei Hypothesen warum die Intervention überhaupt verarbeitet werden sollte:
Baecker erklärt vielleicht indirekt, warum überhaupt eine Störung überhaupt verarbeitet wird. Voraussetzung ist die Annahme (in Anlehnung an Luhmann), dass eine vollständige Bestimmtheit des Sozialen das Unbestimmte eine unverzichtbare Rolle spielt (254). Konkreter sind dies beim Bewusstsein wie bei der Kommunikation deren Endloshorizonte, aus denen immer wieder neue Sinnverweisungen gewonnen werden können, und die es ermöglichen, Bestimmtheiten auf Unbestimmtheiten zurückzurechnen  (267). (Erstaunlicherweise benutzt Baecker hier nicht den Begriff der Kontingenz.) Diese Unbestimmtheit konkretisiert sich offenbar in der oben genannten Schnittstelle (so meine erste Hypothese), bei der die Aufmerksamkeit dadurch sichergestellt werden kann, dass sie zwischen Irritation und Faszination oszilliert (269). (Hierbei benutzt er den Begriff der Irritation eher umgangssprachlich und nicht als theoretischen Begriff wie bei Luhmann oder in unserem Seminar.) Es geht also darum, dass das Design die Schnittstelle zwischen Kommunikation und Bewusstsein so besetzt ist, dass selektiv ausgelotet wird welche kommunikativen Absichten mit welchem Typ von Wahrnehmung verbunden oder strukturell gekoppelt werden können. Dass es überhaupt zur Aufmerksamkeit kommt (so meine zweite Hypothese) ist in Anlehnung an Luhmann, dass die Störung zunächst eine Komplexitätszunahme verursacht (für die Polizei ist der angezeigte Verstoß zunächst als Kommunikation unbestimmt, erst in der Wahrnehmung des Individuums wird es als relevantes Thema erlebt), welche in Form von Komplexitätsreduktion verarbeitet wird (als Vorgang im Rechtssystem: D.h. der Verstoß wird als Protokoll verschriftlicht und als Prozess in die Verwaltung gegeben).


(Von Lutz Ebeling, 28.05.2016)

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Literatur:

  • Baecker, Dirk (2005): Form und Formen der Kommunikation. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Mölders, Marc (2016): Irritationsgestaltung. Seminare im WiSe 2014_15 und SoSe 2016, ekVV-Belegnummern: 300168 bzw. 300148. Universität Bielefeld. Online verfügbar unter https://ekvv.uni-bielefeld.de/kvv_publ/publ/vd?id=37979814, zuletzt geprüft am 08.04.2016.

Samstag, 14. Mai 2016

Wie sind Irritation durch Spiele möglich? (zu Hutter 2015: 9-33, 235-251)


Zusammenfassung der Textausschnitte:
Hutter nutzt die Metapher des Spiels um das Handeln von Akteuren in den verschiedenen gesellschaftlichen, je autonomen Wertsphären, Feldern oder Funktionssystemen zu beschreiben - konkret Kunst oder Wirtschaft (14). Das Handeln oder die Spiele erfolgen nach Spielregeln und Spielzügen, die ähnlich den Wertsphären abgeschlossene und begrenzte Ordnungen darstellen (18 f.).

Zur Leitfrage des Seminars Mölders (2016) - zunächst (a) zum 'Wer' irritiert. Es scheinen die "Spielzüge" und die entsprechend handelnden Akteure zu sein: "[I]n ihrer Verschiedenheit geraten kommerzielle Spielzüge und kulturelle Spielzüge ständig aneinander und ineinander" (32); (b) zum  'Wie': Neben dem genannten Aneinandergeraten sind es "Übertragungen[en]" oder "Translation[en]" hervorgerufen durch "Erfindung" und (Kapital-)"Akkumulation" (235); (c) zum 'Wozu': Diese Übertragungen (von Produktionen der kommerziellen Welten) führen zu "Variationen der Wertschöpfung" (236), womit weitere Erfindungen gemeint sein könnten - und zwar in der Wertsphäre, in die übertragen wurde, wie beispielsweise neue Bilderfindungen (237). Stabil werden die Veränderungen, wenn Vereinbarkeit erreicht ist (31).

Sechs Überlegungen zum Begriff des Spiels:
Was erklärt die Metapher des Spiels - oder welche zusätzliche theoretische Erklärungsleistung bringt die Beobachtung mittels Spielzügen (beispielsweise gegenüber den Theorien von Bourdieu und Luhmann)?
  1. Eine "intuitive Plausibilität" (17) ist nicht unbedingt ein theoretisches Argument. Möglicherweise könnte man statt "Wirtschaftsspiel" nur von "Wirtschaften" reden, wie es Hutter selbst schreibt (28). Statt "[i]m Musikspiel" wäre 'in der Musik' genauso aussagekräftig. Oder "Irritationsgeschichten"  (32) könnten empirische Beispiele von Irritation sein.
  2. Dass Spiele Regeln erfordern, implizieren beispielsweise die Codes der Funktionssysteme bei Luhmann; eine Verbindung von Regeln zu sozialen Systemen kann man bei Kapitanova (2013) nachlesen. Im Spiel vergnügliches und ernstes Verhalten zu sehen, lässt sich durch den Begriff sicherlich leichter beobachten (18 ff.) - aber wäre das aus einer 'Interaktion' nicht genauso ableitbar? Im Gegenteil - Spiele lassen leicht auf Akteure schließen, die motivational im Kontext von Regeln handeln; aber was ist mit der Perspektive von Kommunikationen? Werden diese Sicht auf und mit Kommunikationen nicht durch den Begriff des Spiels leichtfertig ausgeschlossen? Warum nicht Sinn als Kontext statt Regeln? 
  3. Und könnte statt "ernst" oder "ästhetisch" bei Hutter nicht Luhmanns Unterscheidung "Verwunderung / Bewunderung" (32) vollständiger die Phänomene erfassen? (Warum heißt die zugehörige Sitzung wohl "Irritation, Ver- udn Bewunderung" ;-).
  4. Und dass Finanzmärkte nicht nur "Glücksspiel[e]" des "Kasino-Kapitalismus" sind (28), können seriöse Unternehmer, die ihr Kapital durch Aktienverkauf für Investitionen in ihr Unternehmer nutzen, vermutlich bestätigen. 
  5. Spieltheorie aus der Wirtschaft (20) ist ein ungenauer, historisch bedingter Begriff, denn Gefangene im Gefangenendilemma als "Spieler" zu bezeichnen, erscheint möglicherweise ein wenig anachronistisch. Axelrod spricht in einem ähnlichen Zusammenhang stattdessen neutraler davon, dass "eine Person bei einer fortlaufenden Interaktion mit einer anderen Person kooperier[t]"  (Axelrod 2005: S. VII). 
  6. (a) Möglicherweise erklärt Luhmanns Unterscheidung von Handeln und Erleben mit den symbolisch generalisierten Medien (Luhmann 1997: 336), warum Hutter den "erkennbaren Kontrast der ästhetischen und der politischen Formen schwer[...]" unterscheiden kann (250): Denn Luhmanns Medium der Macht schließt bei der Alter/Ego-Kommunikation mit Handeln/Handeln anschließt - und nicht mit Erleben (Luhmann 1997: 355 ff.); aber Ästhetik ist intuitiv eher im Erleben als im Handeln verortet. (b) Mit Hilfe dieser Medientheorie Luhmanns braucht man möglicherweise nicht von der "Wertlogik des ästhetischen Erlebens" (26, Hervorh. L.E.) zu sprechen, denn nach Luhmann 'beginnt' die Kommunikation durch das Kunstmedium im Handeln von Alter (der Künstler malt) und schließt Ego an, das Publikum erlebt (sic!) (abstrakter dazu Luhmann 1997: 353 f.). 
Im Ergebnis scheint die Spielemetapher (zumindest in den untersuchten Textausschnitten von Hutter 2015) wenig zusätzliche theoretische Erklärungsleistung zu bieten, sofern man das Potential bei Luhmann ausschöpft. Die Spielemetapher verbessert sicherlich das Leseerlebnis, das einfachere Verständnis der Irritation zwischen verschiedenen Wertsphären und somit einen häufigeren Anschluss an Leser des Textes aufgrund des intuitiven Charakters des Spiels (17) und entsprechender Spielzüge.


---------Literatur

  • Axelrod, Robert (2005): Die Evolution der Kooperation. 6. Aufl. München: Oldenbourg.
  • Kapitanova, Janeta (2013): Regeln in sozialen Systemen. Wiesbaden: Springer VS
  • Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. 2 Bände. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Mölders, Marc (2016): Irritationsgestaltung. Seminare im WiSe 2014_15 und SoSe 2016, ekVV-Belegnummern: 300168 bzw. 300148. Universität Bielefeld. Online verfügbar unter https://ekvv.uni-bielefeld.de/kvv_publ/publ/vd?id=37979814, zuletzt geprüft am 08.04.2016.


Donnerstag, 5. Mai 2016

Wie sind Irritationen durch Konversationskreise möglich? (Hutter 1989: 90-104; 130-139)

1) Überblick: 
Im Folgenden werden Konversationskreise als Irritationen zwischen Wirtschaft und Recht im Text von Hutter dargestellt (2.1 - 2.2). Es folgt der Versuch eines selbstgewählten Anwendungsbeispiels (2.3) - das Embargo des Exportes von Wirtschaftsgütern in den Iran. Anschließend (2.4) werden zwei Fragen zur Übersetzungsleistung und zum Ort der Konversationskreise formuliert (mit Andeutungen zu Antworten).

2) Details:
2.1) "Wer irritiert wen?" und grob "Wie?"(zur Leitfrage in Mölders 2016):  Wirtschaftspersonen irritieren durch Konversationskreise Rechtspersonen und vice versa (941). "Personen werden als soziale Systeme, als Mitteilungsströme interpretiert" (94). "Entsteht eine Steigerung der Mitteilungsaktivität zwischen Wirtschafts- und Rechtspersonen führt dies zu autonom handelnden Konversationskreisen" (S. 90), über die  die "Konversationsteilnehmer [...] einen Teil ihrer eigenen Aktivitäten [...] laufen [lassen]" (94). Dieser Teil der Aktivitäten sind die durch o.g. Mitteilungsströme ausgelösten "Kommunikationshandlungen" (94), durch die sich die Konversationskreise reproduzieren (94). Das Mitteilungshandeln der jeweiligen Personen erfolgt im "primären Kontext" (91) der jeweiligen Leitunterscheidungen des Funktionssystems, hier Recht (Unrecht) oder Wirtschaft (Transaktionen, Geld).

2.2 Genauer zum "Wie?":  Personen können Unternehmen sein. "Sie versuchen, Mitteilungen zu finden, die für andere Personen wertvolle Information darstellen. Die anderen Personen reproduzieren diese Mitteilungen innerhalb ihrer eigenen Konversationen. Dadurch reproduzieren sie gleichzeitig die Einheit, die Identität der aussendenden Personen. Dieser Vorgang ist "verschränkt", d.h.: die anderen Personen verfahren genauso, und jeder Anfangspunkt der wechselseitigen Unterstellung von Identität, des "Einpflanzens der eigenen Identität in die interner Konversation anderen Personen, muss seinerseits unterstellt werden" (92). "[S]ie muss in der Lage sein, die eigene Identität zur Verhaltenskompetenz der Umweltsysteme zu machen" (92). "Konversationskreise zechnen sich gerade dadurch aus, daß sie mehrere Leitunterscheidungen präsent halten" (95).

2.3) "Wozu?"/Beispiel: Zunächst kann man sich ein Beispiel vergegenwärtigen, wie das Embargo des Exportes von Wirtschaftsgütern aus Europa in den Iran, da dieser u.a. durch die EU und die USA mittels wirtschaftlichen Sanktionen zu politischen Maßnahmen gezwungen werden sollte. Wie wird nun mittels der Funktionsweise der Konversationskreise ersichtlich, wozu diese Irritation erfolgt? Dies wird durch folgende Aussage bei Hutter klar: "Wenn Recht 'produziert' wird, dann induzieren Wirtschaftsmitteilungen Veränderungen im Recht, die in einer späteren Zeitperiode von Wirtschaftspersonen als Transaktionsmittel [...] verwendet werden können" (138). D.h. u.a. die EU und die USA produzieren Sanktionsrecht, was über Konversationskreise als Mitteilung in der Wirtschaft eine "wertvolle Information darstell[t]" (92), da es Einfluss auf die Transaktionen der Wirtschaft und entsprechenden Gewinn hat (Geld), da Waren eines EU-Unternehmens nicht mehr in der Iran exportiert werden können, was vor der Änderung des Rechts möglich war.

2.4) Fragen:
1) Wie erfolgt die Übersetzungsleistung in der Konversationskreisen mit den verschränkten Identitäten (92)? Vermutete Antwort: Es ist die "wertvolle Information" (92) der Rechtsproduktion, die als Informationsirritation in der Umwelt der Wirtschaftsperson auftaucht. Sie fragt sich, was diese Information für einen möglichen Einfluss auf die Transaktionen in ihrem eigenen Wirtschaftskontext hat? Es ist also die Frage nach der Relevanz oder des Wertes der Information; und wie diese in den Kontext der Wirtschaftsperson eingebaut wird.

2) Wo finden die Konversationskreise mit den beteiligten Personen statt? Hutter deutet es an, wenn er peripher zum primären Kontext von "intermediären Gruppen" spricht, die "mehrere Leitunterscheidungen präsent halten" (95). Man könnte sich das so vorstellen, dass die Rechtsabteilung in einer EU-Wirtschaftsorganisation sich nicht nur Rechtsänderungen als Texte zuschicken lässt, sondern gerade auch Kontakte mit Adressaten aus der EU-Bürokratie (oder über Wirtschafts-Lobby-Verbände) pflegt, die den aktuellen Stand des drohenden Iran-Embargos genauer kennen, da sie möglicherweise über die Kopplung des politischen System entsprechende "wertvolle Informationen" (92) besitzen; oder diese Information "als eigene Identität zu Verhaltenskompetenz der Umweltsystem zu machen"(92). Die identitäts-interne Konsequenz - an der primären Leitunterscheidung orientiert - wäre, Transaktionen in Form von Wirtschaftsgütern auf anderen Märkten versuchen zu platzieren.



-----------Fußnoten
1 Seitenangaben ohne Autor beziehen sich auf Hutter (1989)

-----------Literatur
Hutter, Michael (1989): Die Produktion von Recht. Eine selbstreferentielle Theorie der Wirtschaft, angewandt auf den Fall des Arzneimittelpatentrechts. Tübingen: J.C.B. Mohr.

Mölders, Marc (2016): Irritationsgestaltung. Seminare im WiSe 2014_15 und SoSe 2016, ekVV-Belegnummern: 300168 bzw. 300148. Universität Bielefeld. Online verfügbar unter https://ekvv.uni-bielefeld.de/kvv_publ/publ/vd?id=37979814, zuletzt geprüft am 08.04.2016.