Donnerstag, 30. Dezember 2010

Thema "Karikaturen mit dem Propheten Mohammed". Terror in Dänemark.

Der folgende Essay versucht den Text "Thema Terror in Dänemark" (dpa/jobr/mikö 2010) mit Hilfe der Gesesllschaftstheorie sozialer Systeme von Niklas Luhmann zu beleuchten und möglicherweise zu verstehen.; vielleicht daraus sogar Handlungen ableiten zu können. Ich beziehe mich bei dem Versuch auf den Blog Ein Versuch: "praktische" soziale Systeme nach Niklas Luhmann.

Dazu muss eine Vorauswahl aus dem Text getroffen(1) werden. Die implizite Brückenhypothese dieser Auswahl besagt, dass ich versucht habe, wenn auch holzschnittartig die wesentlichen Informationen der Sozialdimension aus dem Text zu exzerpieren. Wesentliche Begriffe markiere ich kursiv:
  1. "Bedrohung", "dänischen Behörden [...] Terroranschlag [...] verhindert"
  2. "[D]er Karikaturist Kurt Westergaard, der mit seinen Mohammed-Zeichnungen den Hass der Islamisten auf sich gezogen hatte, mahnte Beharrlichkeit an [...]"
  3. "Bei einem Selbstmordanschlag [...] in [...] Stockholm war nur der Attentäter gestorben[...]. Er hatte seine Tat unter anderem mit einer Mohammed-Karikatur des schwedischen Zeichners Lars Vilks sowie Schwedens Teilnahme am Afghanistan-Krieg begründet.
  4. "Trotz der konkreten Bedrohung hat der dänische Kronprinz Frederik [...] das Verlagsgebäude der Zeitung Jyllands-Posten besucht, um dort einen Sportlerpreis zu verleihen", also eine symbolische Geste.
  5. Es sollte eine weitere Referenz hinzugezogen werden (Bomsdorf/Vilks 2010, 61): Lars Vilks "wollte [mit seiner Karikatur, L.E.] darauf aufmerksam machen, dass es so viele Tabus gibt im Zusammenhang mit dem Islam. Ich [Vilks, L.E.] wollte darauf einwirken, dass der Umgang mit der Religion - und jeder Religion wohlgemerkt - toleranter und offener wird. Der Monty-Python-Film "Das Leben des Brian" macht sich lustig über das Christentum, und vor 30 Jahren, als er in die Kinos kam, was das eine Provokation".
Ein paar Arbeitshypothesen:
  1. Bei den Karikaturen handelt es sich um Symbole
  2. Es geht um Terror-Kommunikation (vgl. Japp 2006).
  3. Die Behörden, also der Staat (bei Luhmann: Verwaltung, vgl. Luhmann/Kieserling 2010, 151ff.) agieren innerhalb des politischen Systems mit der ihnen zur Verfügung stehenden Drohmacht bzw. setzen diese ein (in dem Fall sicherlich im Sinne der Bevölkerung).
  4. Die Kommunikation der involvierten radikalen Islamisten operiert im Religionssystem (vgl. Luhmann/Kieserling 2000). 
  5. Die Karikatur entstammt dem Funktionssyste Kunst (handelnd),  damit es im Funktionssysetem Massenmedien erlebt wird (vgl. bzgl. Handeln/Erleben symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien Luhmann 1997, 336; bzgl. Kunst Luhmann 1997b, bgzl. Massenmedien Luhmann 2004 ).

Abduktionen/Hinweise bei Luhmann et al:
  • Zu Religionssystem finden wir etwas bei Luhmann, der das Folgende im Kontext der "Durchsetzung der christlichen Religion" (Luhmann/Kieserling 2000, 337) formuliert: "In die Beobachtung erster Ordnung konnte so eingeschlossen werden, daß alle Beobachter gleichsinnig beobachten. Das wieder machte es möglich, eine das offenbarte Wissen symbolisierende Kultur aufzubauen. Das ging zusammen mit [...] kirchenaufsichtlichen Kontrollen [...]. Immer aber lag die symbolische Qualität  darin, daß sie  das waren [kursiv i. Ori, L.E.], was sie erscheinen ließen [...] Was so als "Sein" erschien, enthielt zugleich einen normativen Anspruch" (Luhmann/Kieserling 2000, 337).
  • zu 1: zwei (soziale oder psychische) Systeme werden durch Symbolisierung in einen sinnhaften Zusammenhang gebracht.
  • Attribution zu Symbolen
  • usw. [folgt vielleicht mal]

Erkenntnis/Prognostik (Thesen!):
  • Es sind also offenbar mind. 2 Kommunikationen(3)  unterschiedlichen Typs: die religiöse, (Terrorist) die künstlerische (Vilks) und die politische (Behörden)., bei deren "Aufeinandertreffen"  (zumindestens  die Differenz relegiös/künstlerisch) es offenbar zum Konflikt kommt. (Wir klammern die massenmediale aus). Bei der einen geht es um die autopoietische Kommunikation des Religionssystems, in welchem die inkludierten Bewusstseinssysteme die Karikaturen in ieser Form als verletztend empfinden. Dies wird  im Kontext der Luhmannschen Theorie nun auch verständlich (wenn man Luhmann/Kieserling 2000 weiter studiert). Eine (marginale Kommunikation) des Religionssystem reagiert entsprechend mit Terror. Der Konflikt wird im Religionssystem nicht vollständig verarbeitet. 
  • Die Kommunikation aus dem Kunstsystem hat offenbar anders das Symbol zugeschrieben (Atribution) und Kommunikationen aus anderen Systemen bzw. die Zuschreibung zu entssrechenden Symbolen nicht berücksichtigt. In der Systemlogik beider Systeme Religion und Kunst tun (können?) sie es normalerweise auch nicht.
  • Somit ist der Konflikt mit Hilfe Luhmanns leicht erklärt. Noch spannend wird es bei dem impliziten Hypothesen Vilks (alles Bomsdorf/Vilks 2010, 61f.): "Es handelt sich um einen globalen Konflikt" - das ist evident - und: "Er [der Konflikt, L.E.] wird wohl nie vollständig zu lösen sein". Das sehe ich mit Erlaub anders. Hier muss man Luhmann zu Rate ziehen: Komplexitätssteigerung durch Komplexitätsreduktion. In beiden Systemen muss der Konflikt besser komplexitätssteigernd verarbeitet werden können. Dazu muss Komplexität reduziert werden, das tut Vilks: "Toleranz ist wichtig". Hier erfolgt Zuschreibung von Handlungsvorschlägen in dem breiten Wertbegriff Toleranz (was immer das sein soll und wie es funktionieren soll). Unterschwellig soll scheinbar die Religion die Karikatur tolerieren? Warum kann die Kunst nicht die Religion tolerieren? Müssen nicht beiden Komunikationen die Komplexität reduzieren? - sich gegenseitig tolerieren? Toleranz braucht nicht mit einer Mohammed-Karikatur demonstriert werden, die in der provokanten Form als Futter für die westlichen Massenmedien (ein Funktionssystem bei Luhmann, vgl. 2004) dient, was in der Systemlogik des massenmedialen Funktionssystems ja auch sein muss (ob es auch anderes geht, soll hier nicht diskutiert werden). Das (er)kennt die Kommunikation im Religionssystem aber auch nicht und reagiert mit Terror - zum Schutz der eigenen Autopoiesis? Ohne Frage - wir blenden hier in der Argumentation die unzähligen toleranten Islamgläubige aus (was man aber nie vergessen darf, dass es sie zum Glück zahlreich gibt. Ich denke hier nur an den selbstverständlichen Umgang zwischen Arbeitskollegen unterschiedlicher Nationalitäten, Alltägliches, was in den Massenmedien nicht auftaucht (und es wg. der Systemlogik auch nicht tut (ist das hier eine Ausnahme?))).
  • Alles in allem scheint (nicht nur) Wulfs "Integration" und "Aussöhnungsprozess" und "nur durch Versöhnung kann eine neue Basis des Vertrauens(2) entstehen."(Wulff 2010, 3f.) in die richtige Richtung zu zeigen. Das wird nun auch mit Hilfe Luhmanns Theorie plausibel. Aber natürlich - das wussten  viele  Menschen auch vor und ohne Luhmann schon. Aber es ist doch wissenschaftlich angenehm zu sehen, dass es plausibel erklärt werden kann. Was folgt? Die harte Arbeit der Sozialarbeit, der sozialen Kommunikation im Alltäglichen, das tägliche Bemühen im Miteinander der Verschiedenen Kulturen im alltäglichen Leben. Wie scheinbar problemlos das geht demonstrieren nicht nur Mesut Özil (türkische Abstammung) oder Lukas Podolsky (polnische Abstammung) in der deutschen Fussballnationalmannschaft (wenn auch aus anderen einfacheren Gründen ( Funktionssystem Sport/Leistung Code)). Offenbar wirken hier symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien (vgl. Luhmann 1997, 332ff.), die einen neuen Blog-Spot notwendig erscheinen lassen. 
  • Es ist offenbar erforderlich zumindest sich in den Text  von Japp (2006) einzuarbeiten.
  • Die Beharrlichkeit müsste noch beleuchtet werden.
  • Interessant scheint der oben zitierte "normative[n] Anspruch" in Zusammenhang mit - oder in Differenz zu -  der gewünschten Toleranz zu sein. Eine brisante - wohl auch konfliktive - Situation.
Es scheint mit der Gesellschaftstheorie sozialer Systeme von Luhmann offenbar alles recht plausibel zu sein, oder wo sind die Denkfehler? Aber Handeln muss ich schon vermutlich selbst :-). Und wie gesagt - "gewusst " und danach handelnd tun es viele Menschen auch ohne die Theorie. So what?

MfG, Lutz Ebeling


Fussnoten
  • (1) (warum so und nicht anders ausgewählt wurde, wäre einen eigenen Blog-Post wert)
  • (2) bzgl "Vertrauen" siehe Luhmann 2010b [1968]
  • (3) Kommunikation im Sinne Luhmanns.
Literatur:
  • Bomsdorf, Clemens; Vilks, Lars 2010. Es gibt so viele Tabus. Der schwedische Künstler Lars Vilks verteidigt seine umstrittenen Mohammed -Karikaturen und plädiert für eine Modernisiserung des Islam. (Ein Interview mit Lars Vilks, geführt von Clemens Bomsdorf). Berlin: Focus, Ausgabe 52/2010, ISSN 0943-7576, 60-61.
  • dpa/jobr/mikö 2010. Terror in Dänemark - Sie wollten so viele Menschen wie möglich töten. München, Sueddeutsche.de GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH, 30.12.2010, http://www.sueddeutsche.de/politik/terror-in-daenemark-sie-wollten-so-viele-menschen-wie-moeglich-toeten-1.1041232, [30-Dez-2010].
  • Japp, Klaus P. 2006. Terrorismus als Konfliktsystem. In: Soziale Systeme, 12, H. 1, 6-32, ISSN 0948-423X.
  • Luhmann, Niklas 1997. Die Gesellschaft der Gesellschaft. Erste Auflage 1998, 2 Bände, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, ISBN: 3-518-28960-8.
  • Luhmann, Niklas 1997b. Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, ISBN: 3-518-28903-9.
  • Luhmann, Niklas; Kieserling, André (Hrsg.) 2000. Die Religion der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, ISBN: 3-518-29181-5.
  • Luhmann, Niklas 2004 [1995]. Die Realität der Massenmedien. 3. Aufl., Wiesbaden: VS, ISBN 3-531-42841-1. 
  • Luhmann, Niklas; Kieserling, André (Hrsg.) 2010. Politische Soziologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, ISBN 978-3-518-58541-2.
  • Luhmann, Niklas 2010b [1968]. Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. 4. Aufl, Stuttgart: Lucius & Lucius; UTB 2185, ISBN: 3-8252-2185-7, 3-8282-0148-2.
  • Wulff, Christian 2010;  Bundespräsident Christian Wulff spricht im türkischen Parlament, Berlin: MiGazin (Migration in Germany), http://www.migazin.de/2010/10/20/bundesprasident-christian-wulff-vor-der-grosen-nationalversammlung-in-der-turkei/, [30-Dez-2010]. 

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