Der vorliegende Blog-Post versucht Luhmanns Text über "Systemtheorie und Protestbewegungen" (Luhmann 1996) zu exzerpieren, ein wenig zu ergänzen und ggf. kurz kritisch zu kommentieren bzw. diskutieren. Das wird durch "(Diskussion:)" gekennzeichnet.
Hintergrund ist das am 08-Jan-2011 dazu stattfindende Kolloquium auf http://www.gesellschaftundkontingenz.de/agenda/. Dazu existieren als ergänzende Lektüren folgende beide Vorschläge:
- Zu Protestbewegungen im Sinne Luhmanns. Die Protestbewegung "Attac" als soziologisches Anwendungsbeispiel. Ein Essay
- Falscher Alarm? Wikileaks und die Politik
1) Abstract (Exzerpt des Exzerpts)
2) Wie wird exzerpiert? Konfliktsystem, Immunsystem
3.3) Das SS PB besitzt keinen Code. PB ist kein Funktionssystems (FS). Statt dessen erfolgt die operative Schließung durch das Protestthema. (Diskussion:) Es bietet sich ein Vergleich mit dem Code Macht in der Politik an. Ein möglicher Negativcode für Protest wäre "Konformität" oder "Zustimmung"; ähnlich wie bei der Kommunikation die Annahme. (Exzerpt): Eine Alternativdifferenz wäre "Wir oder die Gesellschaft". Ein Themenwechsel ist empirisch selten, auch wenn es sogenannte biographische commitments gibt. PBen fordern größere persönliche Bindungen, als z.B. Geld in der Wirtschaft. (Diskussion:) fordern das nicht auch Organisationen?
Luhmanns Einschätzung nach liegt bei sozialen Bewegungen kein Code vor. In Bezug auf Spencer Browns Formbegriff sagt Luhmann: "Ein Protest hat sozusagen die Außenseite, nicht zu protestieren oder die Gesellschaft so laufen zu lassen, wie sie läuft [...]. Dieser "unmarked space" [hat] nicht die Form eines Negativwertes (176 f.)".
"[W]ie gelingt dann die Schließung[...]? [...] [Durch] das Protestthema [...], also die Form des Protestes" (177).
Diskussionsexkurs: Wenn Luhmann der PB den Code abspricht und somit eine PB kein FS ist, müsste man in Analogie zum Code Macht des FSs Politik fragen, ob nicht bei der negativen Seite des Codes (=Machtunterlegeneheit) (vgl. Luhmann/Kieserling 2000) "genauso die Gesellschaft weiterläuft, wie es bei einem wie auch immer bezeichneten Gegenwert von Protest wie z.B. "Konformität" oder "Zustimmung" wäre. Dieser mögliche Negativcode "Konformität" für Protest scheint funktional äquivalent zu der Annahme (Zustimmung, "dem Ja") beim Anschluss einer Kommunikation zu sein. Der Protest entspräche dann der Ablehnung (dem "Nein) bei der Kommunikations-Anschluss-Operation. Ein qualitativer Unterschied bei der Machtunterlegenheit im Vergleich zur einer "Konformität" liegt offenbar auch nicht in der latenten Struktur (der Kommunikationen). Man stimmt durch Nicht-Protest genauso zu ,wie man durch Nicht-Macht-Haben unterlegen ist. Im Falle der Politik kann man statt dessen zur Wahl gehen, ähnlich wie man bei den PBen mit protestieren kann (z.B. auf der Straße demonstrieren).
Zurück zum Exzerpt: Eine Alternativdifferenz wäre ""Wir oder die Gesellschaft", "Wir" und das, was andernfalls geschehen würde" (178). Zusätzlich hält Hellmann "Betroffenheit und Entscheidung" als "Einheit des Protestes" für möglich (180).
Hellmann fragt noch ein mal nach, ob nicht "der Protest das entscheidende Merkmal einer Protestbewegung ist und nicht das Thema" (178), worauf Luhmann zwar mMn zu Recht kontert, dass "das die Kosequenz hätte, daß es eine Protestbewegunge gibt, die ihre Themen auswechselt". (Diskussionexkurs:) Er unterstellt jedoch unterschwellig, dass dies empirisch eher selten vorkommt. Die PB Attac ist hier zwar ein empirisches Datum, bei der dieses Auswechseln des Protestthemas vorkommt: zuerst Finanzen und Tobinsteuer, dann Agenda 2010, jetzt Themen, wie Abschaltung von Atomkraftwerken, Genmais usw. thematisiert. An zwei Stellen im Text konzediert Luhmann, dass dieser Protestthemenwechsel vorkommt: A) "Es gibt diese Art von Generalorientierung am Protest mit den zeit- und generationsbedingten Möglichkeiten, die Themen auszuwechseln" (178). Dies hat aber nach Luhmanns "Eindruck nicht die Stringenz von Codierung und Programmierung, sondern es ist eher das Sammelbecken für Unzufriedenheiten oder auch, wenn man es objektiver formulieren will, für Schwachstellen und Negativfolgen der Typik moderner Gesellschaft" (178). B) Man "setzt einfach, wenn ein Thema müde wird, auf ein anderes. [...] [D]ass dieselben Personen hier auftauchen oder später dort auftauchen, dass es gleichsame biographische commitments in der Richtung gibt" (180). Die "Orientierung am Protest, egal welches Thema" (180), reicht für Luhmann vermutlich nicht aus, "von sozialer Bewegung zu sprechen" (180). "[D]ie sozialen Bewegungen [fordern] größere persönliche Bereitschaften oder Bindungen [...], auch Loyalitäten in gewisser Weise, die ja in anderen Systemen gar nicht üblich sind: Was bindet mich, mein Geld diesen oder jenen Zweck auszugeben? Was bindet mich, wenn ich meine Stimme für die eine Partie abgebe, das nächste Mal nicht anders zu wählen?". (Diskussion) Es stellt sich trotzdem die Frage, ob nicht Organisation - wenn vielleicht auch in abgeschwächter Form, ähnlich Loyalitäten fordern.
3.4) Protestkommunikation mahnt an seine Adressaten Verantwortung an
Luhmann meine, "dass es sich bie Protest um Kommunikationen handelt, die "an andere" adressiert sind und deren Verantwortung anmahnen" (179). "Die ökologischen Bewegungen scheinen sich schon jetzt von der Politikadresse abzuwenden, sie gehen sogar vor die Fabriktore [...;] frontal auf die Industrie zu. Dann steuert aber das Thema Ökologie die Suche nach Gegnern, nach Punkten, wo die Unzufriedenheit konkret werden kann" (179).
Diskussion: Im Falle von Greenpeace ist das empirisch nachvollziehbar, siehe Brent Spa, was mWn icht nur von Shell sondern auch von Esso subventioniert wurde, man aber den Gegner Shell als einzigen Adressat bewusst ließ (so Tilo xxx in einem Interview im WDR 2010, Referenz folgt). Vielleicht erklärt gerade das (ähnlich wie vielleicht Terre des Hommes) den punktuellen Erfolg im Gegensatz zu den global agierenden PB Attac, die die Finanzkrise zwar vorhergesehen, aber im Grunde keine Wirkung erzielt haben.
3) Kapitel "Angst und Mobilisierung"
Fussnoten:
Literatur:
Für Luhmann sind soziale Bewegungen (SB) autopoietische, also soziale Systeme (SS). Er favorisiert aber den Begriff Protestbewegungen (PB) und bringt sie in die Nähe von Konflikt- oder Immunsystemen. PBen besitzen vermutlich keinen Code in der Stringenz wie in einem Funktionssystem (FS). PBen mahnen Verantwortung bei ihren Adressaten an.
2) Wie wird exzerpiert? Konfliktsystem, Immunsystem
Die Regeln und Vorschriften bzw. Brückenhypothesen nach denen entsprechende Ausschnitte im Text selektiert werden - also nach Luhmann, welche Seite der Form bezeichnet (angezeigt bzw. indicated) wird - sind im wesentlichen Begriffe und Aussagen, die funktionalen Erklärungen sozialer Bewegungen in Bezug auf die Einordnung in Luhmanns Theorie darstellen(1). Bspw. fragt Hellmann: "Sie haben mit Konfliktsystemen und Immunsystemen angefangen" (175). Der weitere allgemeinen Teil der Frage nach "Codes und Programmen" wird nicht mit in das Exzerpt aufgenommen, da es sich eher um einen Teil der Theorie sozialer Systeme handelt, also sich nicht konkret sich auf soziale Bewegungen bezieht.
3) die Kapitel "Soziale Bewegungen als autopoietische Systeme" und "Commitments"
3.1) soziale Bewegungen (SBen) sind autopoietische (soziale) Systeme (SS).
3.1) soziale Bewegungen (SBen) sind autopoietische (soziale) Systeme (SS).
Luhmann bejaht die Frage, ob es "sich bei sozialen Bewegungen um autopoietische Systeme handelt" (175 f.), "in Abgrenzung von irgendwelchen modischen Themenkarrieren, denen ihre Anhänger folgen" (176).
3.2) mit dem Begriff Protestbewegung (PB) kommt mehr in den Blick als mit SB. PB sind von modischen Themenkarrieren abgrenzbar.
Er benutzt den Begriff „Protestbewegungen“ (Luhmann 1984, 847) statt „sozialen Bewegungen“, da der „übliche Sammelbegriff der Soziologie „soziale Bewegung“ […] nicht viel her [gibt]“ (Luhmann 1987, 543); denn "einen wichtigen Block von Phänomenen kriegt man heraus, wenn man von Protestbewegungen spricht" (176). "Wenn man sich an dem Protestbegriff orientiert, kann man [...] sozialen Einheiten, d.h. Kommunikationsmengen herausgreifen, die sich selber von der Umwelt abgrenzen, indem sie sich bestimmte Protestthemen herausgreifen und diese kommunikativ behandeln, [...] als zugehörig oder nicht erkennbar ist. [...] Das Phänomen würde ich [Luhmann, L.E.] als autopoietisch bzeichnen, in Abgrenzung von irgendwelchen modischen Themenkarrieren, denen ihre Anhänger folgen"(176).
3.3) Das SS PB besitzt keinen Code. PB ist kein Funktionssystems (FS). Statt dessen erfolgt die operative Schließung durch das Protestthema. (Diskussion:) Es bietet sich ein Vergleich mit dem Code Macht in der Politik an. Ein möglicher Negativcode für Protest wäre "Konformität" oder "Zustimmung"; ähnlich wie bei der Kommunikation die Annahme. (Exzerpt): Eine Alternativdifferenz wäre "Wir oder die Gesellschaft". Ein Themenwechsel ist empirisch selten, auch wenn es sogenannte biographische commitments gibt. PBen fordern größere persönliche Bindungen, als z.B. Geld in der Wirtschaft. (Diskussion:) fordern das nicht auch Organisationen?
Luhmanns Einschätzung nach liegt bei sozialen Bewegungen kein Code vor. In Bezug auf Spencer Browns Formbegriff sagt Luhmann: "Ein Protest hat sozusagen die Außenseite, nicht zu protestieren oder die Gesellschaft so laufen zu lassen, wie sie läuft [...]. Dieser "unmarked space" [hat] nicht die Form eines Negativwertes (176 f.)".
"[W]ie gelingt dann die Schließung[...]? [...] [Durch] das Protestthema [...], also die Form des Protestes" (177).
Diskussionsexkurs: Wenn Luhmann der PB den Code abspricht und somit eine PB kein FS ist, müsste man in Analogie zum Code Macht des FSs Politik fragen, ob nicht bei der negativen Seite des Codes (=Machtunterlegeneheit) (vgl. Luhmann/Kieserling 2000) "genauso die Gesellschaft weiterläuft, wie es bei einem wie auch immer bezeichneten Gegenwert von Protest wie z.B. "Konformität" oder "Zustimmung" wäre. Dieser mögliche Negativcode "Konformität" für Protest scheint funktional äquivalent zu der Annahme (Zustimmung, "dem Ja") beim Anschluss einer Kommunikation zu sein. Der Protest entspräche dann der Ablehnung (dem "Nein) bei der Kommunikations-Anschluss-Operation. Ein qualitativer Unterschied bei der Machtunterlegenheit im Vergleich zur einer "Konformität" liegt offenbar auch nicht in der latenten Struktur (der Kommunikationen). Man stimmt durch Nicht-Protest genauso zu ,wie man durch Nicht-Macht-Haben unterlegen ist. Im Falle der Politik kann man statt dessen zur Wahl gehen, ähnlich wie man bei den PBen mit protestieren kann (z.B. auf der Straße demonstrieren).
Zurück zum Exzerpt: Eine Alternativdifferenz wäre ""Wir oder die Gesellschaft", "Wir" und das, was andernfalls geschehen würde" (178). Zusätzlich hält Hellmann "Betroffenheit und Entscheidung" als "Einheit des Protestes" für möglich (180).
Hellmann fragt noch ein mal nach, ob nicht "der Protest das entscheidende Merkmal einer Protestbewegung ist und nicht das Thema" (178), worauf Luhmann zwar mMn zu Recht kontert, dass "das die Kosequenz hätte, daß es eine Protestbewegunge gibt, die ihre Themen auswechselt". (Diskussionexkurs:) Er unterstellt jedoch unterschwellig, dass dies empirisch eher selten vorkommt. Die PB Attac ist hier zwar ein empirisches Datum, bei der dieses Auswechseln des Protestthemas vorkommt: zuerst Finanzen und Tobinsteuer, dann Agenda 2010, jetzt Themen, wie Abschaltung von Atomkraftwerken, Genmais usw. thematisiert. An zwei Stellen im Text konzediert Luhmann, dass dieser Protestthemenwechsel vorkommt: A) "Es gibt diese Art von Generalorientierung am Protest mit den zeit- und generationsbedingten Möglichkeiten, die Themen auszuwechseln" (178). Dies hat aber nach Luhmanns "Eindruck nicht die Stringenz von Codierung und Programmierung, sondern es ist eher das Sammelbecken für Unzufriedenheiten oder auch, wenn man es objektiver formulieren will, für Schwachstellen und Negativfolgen der Typik moderner Gesellschaft" (178). B) Man "setzt einfach, wenn ein Thema müde wird, auf ein anderes. [...] [D]ass dieselben Personen hier auftauchen oder später dort auftauchen, dass es gleichsame biographische commitments in der Richtung gibt" (180). Die "Orientierung am Protest, egal welches Thema" (180), reicht für Luhmann vermutlich nicht aus, "von sozialer Bewegung zu sprechen" (180). "[D]ie sozialen Bewegungen [fordern] größere persönliche Bereitschaften oder Bindungen [...], auch Loyalitäten in gewisser Weise, die ja in anderen Systemen gar nicht üblich sind: Was bindet mich, mein Geld diesen oder jenen Zweck auszugeben? Was bindet mich, wenn ich meine Stimme für die eine Partie abgebe, das nächste Mal nicht anders zu wählen?". (Diskussion) Es stellt sich trotzdem die Frage, ob nicht Organisation - wenn vielleicht auch in abgeschwächter Form, ähnlich Loyalitäten fordern.
3.4) Protestkommunikation mahnt an seine Adressaten Verantwortung an
Luhmann meine, "dass es sich bie Protest um Kommunikationen handelt, die "an andere" adressiert sind und deren Verantwortung anmahnen" (179). "Die ökologischen Bewegungen scheinen sich schon jetzt von der Politikadresse abzuwenden, sie gehen sogar vor die Fabriktore [...;] frontal auf die Industrie zu. Dann steuert aber das Thema Ökologie die Suche nach Gegnern, nach Punkten, wo die Unzufriedenheit konkret werden kann" (179).
Diskussion: Im Falle von Greenpeace ist das empirisch nachvollziehbar, siehe Brent Spa, was mWn icht nur von Shell sondern auch von Esso subventioniert wurde, man aber den Gegner Shell als einzigen Adressat bewusst ließ (so Tilo xxx in einem Interview im WDR 2010, Referenz folgt). Vielleicht erklärt gerade das (ähnlich wie vielleicht Terre des Hommes) den punktuellen Erfolg im Gegensatz zu den global agierenden PB Attac, die die Finanzkrise zwar vorhergesehen, aber im Grunde keine Wirkung erzielt haben.
Fussnoten:
- (1) Alle Angaben in Klammer sind Seitenangaben; kursive Hervorhebungen durch mich. Falls erforderlich wird auch auf weitere Literatur verwiesen.
Literatur:
- Luhmann, Niklas 1996. Systemtheorie und Protestbewegungen. Ein Interview. In: Protest: Systemtheorie und soziale Bewegungen. Hrsg. von Kai-Uwe Hellmann. Frankfurt/Main: Suhrkamp, S.175-200.
- Luhmann, Niklas 1984. Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (stw666), ISBN-10: 3-518-28266-2.
- Luhmann, Niklas; Kieserling, André (Hrsg.) 2000. Die Politik der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, ISBN: 978-3-518-29182-5, 3-518-29182-3.